Marharyta und Mariya von Base_UA

Ein Interview mit zwei jungen Frauen aus Donezk, die seit Sommer 2022 in den ukrainischen Karpaten Art-Camps für Kriegskinder organisieren.

5. Oktober 2023

Marharyta Kurbanova (“Margo”) und Mariya Surzhenko (“Mascha”) in Nyzhne Selyshche, Anfang Oktober 2023

NeSTU unterstützt die Art-Camps der NGO Base_UA, die nach Kriegsbeginn von einigen Freiwilligen gegründet wurde.
Marharyta Kurbanova und Mariya Surzhenko haben die Camps initiiert. Die Fragen stellte Jürgen Kräftner, NeSTU und EBF Ukraine

JK: Wie kam es dazu, dass Ihr beide seit Kriegsbeginn in der Ukraine schon sieben Jugendlager organisiert habt?

MK: Ich stamme aus der Stadt Donezk, seit 2014 ist sie von Russland besetzt. Von 2012 bis 2017 habe ich an der Kiever Hochschule für Kunst Karpenko-Kary studiert, anschliessend bin ich nach Deutschland gegangen und studiere seither an der Filmhochschule Babelsberg in Potsdam.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Truppen im Februar 2022 haben wir mit meinem Mann Anton damit begonnen, Menschen bei der Flucht zu helfen, humanitäre Hilfe zu verteilen, einfach das zu tun, was die Leute damals am dringendsten brauchten. Anton hat schon bald seinen Jugendfreund Mischa wiedergefunden, dann kam noch Patrick von der Organisation LeaveNoOneBehind dazu. Gemeinsam haben sie beschlossen, eine NGO zu gründen und haben ihr den Namen Base_UA gegeben. Mein Job war damals, diese Arbeit mit kurzen Videos zu dokumentieren. Einmal, als wir Leuten in Lissitschansk (Oblast Luhansk) bei der Flucht geholfen haben, das war im Juni 2022, bin ich einem zwölfjährigen Mädchen begegnet. Sie kam jeden Tag mit ihrem Hund zu unserem Stützpunkt, wo humanitäre Hilfe verteilt wurde. Von dort wurden auch die fluchtwilligen Menschen abgeholt. Sie kam ganz allein, und wir haben begonnen miteinander zu spielen und sprachen über das Leben in dieser Geisterstadt. Dort gab es damals schon keine Telefonverbindung mehr, Strom- und Wasserversorgung waren auch zusammengebrochen. Es gab auch keine Läden mit Lebensmitteln mehr. Alles war zerbombt. Und ich fragte sie, wie es denn kam, dass sie ganz alleine durch diese Stadt lief. Sie kam zu unserem Stützpunkt um mit den Kindern zu spielen, die dort im Keller lebten. Wir sind dann unter Artilleriebeschuss geraten. Wir waren in unserem Stützpunkt und es gab einen direkten Beschuss. Alle Leute, die sich dort aufhielten, waren sehr erschrocken, und Mascha, so hiess dieses Mädchen, auch. Sie hat sich an meine Hand geklammert und hat mich gebeten, dass wir sie aus der Stadt wegbringen. Ich habe begriffen, dass das eine Kindesentführung ist, und dass wir diese Verantwortung nicht tragen können. Ich war damals in Begleitung eines  Notfallsanitäters, Kevin, und gemeinsam haben wir beschlossen noch eine Woche in dem Stützpunkt zu bleiben und das Mädchen dann mitzunehmen. Denn nachdem es schon einen Beschuss gegeben hatte, war klar, dass weitere folgen würden. Wir würden es uns nicht verzeihen, wenn Mascha beim nächsten Beschuss ums Leben käme. Wir bringen sie weg, und falls die Mutter mit der Flucht nicht einverstanden wäre, könnten wir sie immer noch zurückbringen. Wir haben unsere mobile Einsatzgruppe, die in der Stadt Lebensmittel verteilte, über unseren internen Funkverkehr gebeten, der Mutter mitzuteilen, dass wir Mascha mitgenommen hätten und dass es ihr gut ginge. Und dass wir dem Rest der Familie auch bei der Flucht helfen könnten.

Die ukrainisch-deutsche und in Berlin lebende Schrifstellerin Katja Petrowska hat kürzlich einen Text über Marharyta Kurbanova in der FAZ veröffentlicht, hier ist er als PDF zu finden.

Base_UA im Einsatz an der Front im Donbas

Aber die Mutter hat gesagt, gebt mir mein Kind zurück und wir mussten Anwälte einschalten. Sie wollte nicht flüchten, denn sie hatte noch ein kleines Kind, das behindert war. Die Polizei sagte uns, ihr müsst Mascha zurückbringen, und die Soldaten sagten «tut das nicht», denn die Stadt wird bald von Russen besetzt. Am Ende hat Mascha ihre Mutter zur Flucht überreden können. Jetzt leben sie gemeinsam in einem Dorf in der Nähe von Lviv und wir sind regelmässig in Kontakt.

Nach diesem Erlebnis mit Mascha sind wurde uns klar, dass wir uns gezielt für Kriegskinder einsetzen wollen, und die erste Idee war, Art-Camps zu organisieren. Das lag auf der Hand, denn sowohl mein Mann Anton als auch ich sind Filmemacher und Kunst ist für uns wichtig.

Das war noch im Juni 2022. Ich habe dann gleich meine beste Freundin Mariya angerufen, wir kennen uns seit der 7. Schulklasse. Mariya ist Pädagogin. Ich fühlte, dass wir beide als Tandem für dieses Projekt prädestiniert waren. Sie war einverstanden und so haben wir gemeinsam überlegt, wie ein ideale Jugendlager ablaufen würde, an dem wir selber in diesem Alter gerne teilgenommen hätten.

Die ukrainisch-deutsche und in Berlin lebende Schrifstellerin Katja Petrowska hat kürzlich einen Text über Marharyta Kurbanova in der FAZ veröffentlicht, hier ist er als PDF zu finden.

Nyzhne Selyshche, Anfang Oktober 2023

JK: Vielleicht kannst Du noch etwas über Dich und Euch sagen. Ihr habt also alle beide auch Fluchterfahrung?

MK: Ja, ich bin in Donezk geboren. Aber ich bin noch vor der Besetzung zum Studium nach Kyiv gegangen. Den Kriegsbeginn 2014 habe ich schon dort erlebt. Aber über meine Familie war ich natürlich betroffen. Meine Grossmutter lebt jetzt in einem Dorf im besetzten Luhansk. Meine Mutter lebt und arbeitet nun in Moskau, ab und zu fährt sie nach Donezk um nach unserer Wohnung und unserer Katze zu sehen, die unter der Obhut der Nachbarin ist.

JK: Wie ist der Kontakt?

MK: Wir telefonieren regelmässig via Whatsapp. Sie ist prorussisch eingestellt und wir haben viel gestritten, eine Zeit lang haben wir gar nicht mehr miteinander gesprochen. Keinerlei Argumente konnten sie umstimmen. Wir haben dann entschieden, nicht über politische Fragen zu sprechen um uns nicht ganz verlieren. Das ist natürlich schwierig, denn mein Leben steht jetzt völlig im Zeichen des Kriegs. Wir sprechen erst seit zwei Monaten wieder miteinander.

JK: Aber mit all diese Erfahrungen kannst Du Dich wahrscheinlich ganz gut in die Haut der Kinder versetzen, mit denen ihr arbeitet?

MK: Ja, natürlich. Andererseits ist meine persönliche Erfahrung nicht so dramatisch, da ich mein Zuhause nicht als Kriegsflüchtling verlassen musste. Aber ich weiss, wie es ist, wenn man nicht nach Hause zurückkehren kann. Nach der Besetzung bin ich noch ein paar Mal zu Besuch zu meiner Mutter gefahren und ich kann mich gut an dieses Gefühl erinnern, in ein völlig anderes Donezk zurückzukehren. Ich war sogar an einem der Meetings der Separatisten, denn meine Mutter wollte, dass ich das erlebe. Das war sehr eigenartig. Der Zugang zur von den Behörden organisierten Demonstration war mit Sandsäcken und Stacheldraht versperrt, beim Eintritt machten Soldaten Körperkontrollen. Es war eine reine Propagandaveranstaltung mit den typischen Slogans, vor allem gegen Amerika.

JK: Und Du, Mariya, stammst auch aus Donezk?

MS: Nein, bis zum Alter von 12 Jahren bin ich in Volnovacha aufgewachsen, auf halben Weg zwischen Mariupol und Donezk. Dann sind wir mit meiner Mutter nach Donezk umgezogen, und dort habe ich Marharyta kennengelernt. Von da an haben wir dort unsere wunderbare Kindheit voller Freundschaft und Kreativität verbracht. 2012, als Marharyta zum Studium nach Kyiv ging, haben wir, alle ihre Freundinnen, sie zum Zug begleitet und geweint.

2014 mussten wir dann auch weg, ich dachte für ein paar Wochen, nun sind es schon 9 Jahre. Das war im Juni 2014. Ich war damals 19 und im zweiten Studienjahr. So ein Alter, in dem man gerade erst ins erwachsene Leben eintritt, und da hat uns das Leben bereits voll eingeholt. Ich habe meine Ausbildung im Fernstudium abgeschlossen. Unsere Universität war ab 2014 auf die ganze Ukraine verteilt und die Neuorganisation war schwierig, das ukrainische Bildungssystem hatte keine Erfahrung damit. Ich habe mich dann immer mehr für Pädagogik interessiert, nachdem ich zunächst Philologie studiert hatte, und habe während drei Jahren am Waldorf-Seminar studiert. Nach dem Abschluss habe ich zuerst im Kindergarten gearbeitet. Das war eine tolle Zeit, denn diese Kinder sind noch voller Wunderlichkeiten. Anschliessend habe ich während vier Jahren in einer Waldorfschule in Odessa gearbeitet. Dann hat der Krieg begonnen. Ich bin nach Lviv umgezogen, denn ich fühlte mich in Odessa nicht sicher. Ein Teil meiner Familie war schon vorher in Lviv. Ich war noch nicht lange dort, da hat mich Marharyta angerufen und ich war sehr froh über die Idee, etwas für Jugendliche zu tun und meine Erfahrung nützlich einzusetzen. Wir würden nicht einfach Lager organisieren, sondern diese wirklich nach den Bedürfnissen der Jugendlichen gestalten. Inzwischen ist ein Jahr vergangen und wir haben sehr viele Erfahrungen gemacht und gelernt. Der Beginn war sehr intensiv und anstrengend, wir wollten alles und sofort, mit der Zeit haben wir das Programm dann der Realität angepasst. Wir haben die Stärkung der psychischen Resilienz der Jugendlichen zur obersten Priorität unserer Camps gemacht. Und ihnen mit Hilfe des künstlerischen Ausdrucks zu helfen, mit ihren Gefühlen leichter zurecht zu kommen. Auch negative Gefühle sollen künstlerisch ausgedrückt werden und machen Platz frei für etwas Neues.

Während der Lager schaffen wir einen geschützten Raum in denen sie sich sicher fühlen, ohne Kriegslärm, es gibt Erwachsene, die sie unterstützen und sie finden Freunde, denen sie sich mitteilen können. Sie haben Ähnliches durchlebt. Das ist sehr wichtig, denn viele leben jetzt an neuen Orten in der Westukraine. Sie finden dort neue Freunde, aber diese haben nicht dasselbe durchgemacht wie sie und können sie nicht verstehen. Hier, in unserer geschützten Umgebung, finden sie Gleichaltrige, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und sie unterstützen sich gegenseitig. Es nimmt ihnen das Gefühl, mit ihren Problemen ganz allein zu sein.

MK: Dazu kommt, dass wir vor dem Krieg zwei Jahre lang wegen der Pandemie vorwiegend online-Unterricht stattfand. Das hat schon damals die sozialen Kontakte sehr eingeschränkt.

MS: Genau, und bei vielen Kindern geht das auch nach der Flucht weiter. Sie leben jetzt an einem neuen Ort, aber verfolgen den Unterricht ihrer ursprünglichen Schule online weiter, zum Beispiel am Gymnasium von Bachmut. Für sie ist unser Camp eine tolle Gelegenheit für einen lebendigen Austausch mit Gleichaltrigen.

JK: Die Camps von Base_UA dauern nur 10 – 12 Tage. Ist das ausreichend, um einem Kind nachhaltig zu helfen?

MS: Unsere Camps ersetzen keine Therapie. Diese dauert viel länger. Aber ohne Zweifel haben unsere Camps eine therapeutische Wirkung. Nach den Camps berichten uns die Eltern darüber, wie ihre Kinder zurückgekommen sind. Wir haben sehr viele Berichte darüber, dass die Kinder ganz andere Verhalten an den Tag legen. Die 12 Tage der Camps sind sehr intensiv und die Kinder erlangen das Gefühl, dass sie ihr Leben aktiv gestalten können. Sie merken, dass sie ihre Gefühle zeigen und mit ihnen zurecht kommen können. Wir haben wunderbare Berichte von Kindern, die sich in ihrer Familie plötzlich viel herzlicher benehmen, neue Beschäftigungen und Sinn im Leben finden. Sie legen die stressbedingte Apathie ab, und finden wieder die Energie, um aktiv zu werden. Wir bleiben nach den Camps mit den Kids in Kontakt und erfahren so, wie es ihnen geht.

MK: Der Grundgedanke unserer Camps ist, den Jugendlichen dabei zu helfen, die Energie wieder zu finden, die bei ihnen durch die widrigen Umstände blockiert ist. Und wir helfen ihnen, kreative Lösungen für ihre schwierigen Lebenssituation zu finden, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Sie merken plötzlich, dass es viele Möglichkeiten gibt, die sie vorher nicht gesehen haben. Und sie lernen, sich selber und ihre emotionalen Probleme zu akzeptieren. Sie öffnen sich gegenüber ihren Familien, manche suchen auch Hilfe durch Psychologen. Wir hatten zum Beispiel einen Jungen, Andrij. Als er nach Hause kam hat er seine Mutter gefragt, ob er sie umarmen darf, was er früher nie gemacht hatte. Ein anderer Junge hat damit begonnen, Gitarre zu spielen. Das war vor einem Jahr, und er spielt immer noch jeden Tag.

MS: Die Kinder bleiben nach den Camps auch untereinander in Kontakt. Sie wohnen in ganz verschiedenen Regionen, aber die Freundschaft bleibt. Ich sehe dann auf Instagram, dass sie sich gegenseitig besuchen, das macht mich wirklich glücklich. Auch von den Eltern bekommen wir oft Fotos davon, was die Kinder zuhause machen.

Am Ende der Camps stehen wir gemeinsam im grossen Kreis und jeder und jede spricht über seine Emotionen und Pläne. Und dann hören wir oft, dass die Kinder sagen, dass sie von nun an anders leben wollen.

MK: Die Kinder übernehmen gerne einige der Methoden, die wir gemeinsam mit ihnen ausprobieren, um ihre Emotionen in den Griff zu bekommen. Wir stehen morgens und abends im Kreis und tauschen uns aus. Beim Abendkreis steht eine Kerze in der Mitte und es geht darum, wie sie den Tag erlebt haben. Wir ermuntern die Kinder auch, eine Art Tagebuch zu führen und ihre Eindrücke und Gefühle aufzuschreiben. Von einem Mädchen haben wir erfahren, dass sie diese Methode für sich beibehalten hat, Abends zündet sie eine Kerze an und notiert ihre Gefühle in ihr Tagebuch. Die Kinder erlernen und benutzen diese Methoden der Selbstreflektion, und wenn sie sich dann an ein Lied aus dem Camp erinnern oder etwas malen, dann hilft ihnen das, sich von den negativen Gefühlen zu befreien. Die Kinder bekommen von uns auch bedruckte T-Shirts, die sie gerne tragen und die sie an die positive Stimmung im Camp erinnern.

JK: Seid Ihr in Kontakt mit anderen Initiativen in der Ukraine, die mit Teenagern arbeiten?

MS: Ja, das ist meine Aufgabe. Wir möchten ein Treffen, eine Konferenz mit den verschiedenen Initiativen zu organisieren, aber bisher hatten wir dazu nicht die nötigen Mittel und Zeit. Denn es gibt wirklich viele Initiativen, aber bisher gibt es keinen Erfahrungsaustausch, ausser auf ganz persönlicher Ebene.

JK: Werdet Ihr bei Eurer Arbeit von Psychologen unterstützt?

MK: Bei den Camps in den Bergen hatten wir auch eine Psychologin in unserem Team. Hier in Nyzhne Selyshche haben wir auf sie verzichtet und haben diese Verantwortung selber übernommen. Einen Teil unseres Programms haben wir mit einem Psychologen ausgearbeitet. Es gibt tägliche Gespräche mit den Jugendlichen über ihre Gefühle. In den Camps in den Bergen, wenn eine Psychologin dabei ist, gibt es immer die Möglichkeit für individuelle Gespräche. Und das wird auch benutzt, wir hatten ab und zu wirklich schwierige Situationen. Aber grundsätzlich suchen sich die Kinder selbst eine Bezugsperson aus unserem Team aus, mit denen sie über ihre Sorgen reden möchten, das hängt nicht von der Funktion ab. Heute zum Beispiel haben wir mit den Kindern über ihren «inneren Freund» gesprochen. Artem, ein Junge aus Severodonezk brach in Tränen aus als er von seinem besten Freund berichtete, der in der von den Russen besetzten Region geblieben ist. Er wollte darüber mit Genia sprechen, unserem Teammitglied, weil der auch aus Severodonezk geflüchtet ist. Die Kinder suchen sich selber Erwachsene, denen sie sich anvertrauen wollen. Also ist es vor allem für uns als Team wichtig, dass wir uns in schwierigen Momenten mit einem Psychologen austauschen können.

JK: Und wie geht es Euch hier in unserem Gästehaus SargoRigo?

MK: Wunderbar, wir fühlen uns wie zuhause. Es gefällt uns sehr, dass dieses Haus und die Umgebung eine kleine Welt für sich sind, das hat auf die Gruppendynamik einen sehr positiven Einfluss. Wir bleiben unter uns und fühlen uns wie eine grosse Familie. Wir organisieren ja auch Camps in Hotels in den Bergen, und dort sind ausser uns auch andere Gäste. Hier sind wir unter uns und wir kochen alle im selben Saft. Dadurch entsteht deutlich schneller Vertrauen unter uns allen.

MS: Ich sehe nun schon zum zweiten Mal, wie dankbar die Kinder der Köchin Tante Olya sind,  an den abendlichen Gesprächsrunden wird sie immer gesondert erwähnt. Ein Junge sagte, Tante Olya ist nicht Köchin sondern ein Schatz. Wir fühlen uns hier sehr gut empfangen. Wenn wir etwas brauchen, gibt es immer jemand, der hilft. Zum Beispiel diese Musikinstrumente, die wir jetzt benützen, ein Synthesizer, die Gitarren. Oder wenn wir für eine bestimmte Aktivität einen gesonderten Raum brauchen. Hier gibt es eine ganze Community, die uns unterstützt.

JK: Sicher, obwohl dies für ein Dorf in Transkarpatien nicht selbstverständlich ist. Die Menschen hier haben keine Fluchterfahrung gemacht und die Menschen, die nach Kriegsbeginn aus der Ostukraine hierhergekommen sind, haben alle auch negative Erfahrungen gemacht.

MK: Ja, das haben wir natürlich auch erlebt. Die Leute sagen, ok, ihr habt Euer Haus verloren und habt keinen Ort mehr, an den ihr zurückkehren könnt, und was? Es gibt nicht viele Menschen, die die nötige Empathie aufbringen können, um das auch ohne ähnliche persönliche Erlebnisse nachvollziehen zu können.

Das ist ein ganz wichtiges Moment, denn für einen Menschen, der im Leben nicht weiter weiss, ist es ganz wichtig zu wissen, dass er noch einen Ort hat, an den er zurückkehren kann. Wenn dies fehlt, werden viele Menschen apathisch.

JK: Was unterscheidet die Camps von Base_UA von anderen Jugendlagern während des Kriegs?

MS: Die meisten Camps beschränken sich darauf, die Jugendlichen zu beschäftigen. Für uns ist es zentral wichtig, ihnen zu vermitteln, wie sie ihre traumatischen Erfahrungen verarbeiten und auch in Zukunft damit umgehen können. Wir bieten also nicht einfach Freizeitbeschäftigung an, sondern es geht um eine Erneuerung der inneren Kraft und darum, dass sich die Jugendlichen bewusst werden, dass sie ihre Probleme bewältigen können. Unser langfristiger Traum ist, dass es mehr Gruppen und Initiativen wie die unsere gibt, die mit Jugendlichen arbeiten und sich über ihre Erfahrungen austauschen. Wir würden uns sehr darüber freuen, dass andere Initiativen unsere Methoden übernehmen und parallel zu uns arbeiten. Viele Camps werden noch immer in der sowjetischen Tradition der Sommerlager durchgeführt.

MS: Ich habe Ende August an einem dreitägigen Seminar über posttraumatische Pädagogik in Kyiv teilgenommen, das hat eine deutsche Organisation veranstaltet. Dort habe ich begriffen, dass unser Programm ideal mit ihren Kriterien übereinstimmt. Eine verständnisvolle Verbindung von Pädagogik, Kreativität und Psychologie führt zu tollen Ergebnissen.

MK: Wir möchten gerne unsere Erfahrungen anderen zugute kommen lassen. Wir haben seit dem vergangenen Jahr schon sieben Camps durchgeführt, mit 150 Kindern. Wenn ein weiteres Team mit unseren Methoden arbeiten würde, dann wären es 300. Wir können nicht jeden Monat ein Camp durchführen, so viel Energie hat kein Mensch. Wir müssen uns auch erholen. Um nicht in eine Routine zu verfallen, suchen wir für jedes Camp ein anderes Hauptthema aus, Routine gibt es bei uns überhaupt nicht. Und zu Beginn des Camps erzählt jeder und jede von uns, was in unserem persönlichen Leben gerade passiert. Das hat sich seit dem vergangenen Jahr auch deutlich verändert, das Land steht an einem anderen Punkt, die Erfahrungen sind nach bald zwei Jahren Krieg nicht dieselben, also sind wir auch anders.

Aber wir können gerne unsere Erfahrungen teilen, das wäre viel effektiver. Denn andere Camps kosten ja auch Geld und Zeit, aber wenn es nur um Freizeitgestaltung geht, ist das Resultat nicht dasselbe.