Rundbrief 20.8.2025

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU
Mit der westlichen Berichterstattung über bahnbrechende Friedensinitiativen können unsere Freunde an der Front nicht viel anfangen, und selbst bei uns in Transkarpatien haben die Menschen andere Sorgen. Nach elf Jahren Krieg macht sich kaum jemand mehr Illusionen. Solange Russland materiell dazu in der Lage ist, wird es versuchen, die Ukraine zu unterjochen.

Unser Schäfer Vitja (51) wurde wegen eines banalen Familienzwists mitten in der Nacht von der Polizei kontrolliert und auch gleich mobilisiert, natürlich hätte er sich längst bei der Stellungskommission melden müssen. Jetzt trainiert er in einer Kaserne in der Nordukraine moderne Kriegskünste (was wir uns nur schwer vorstellen können), sein siebzehnjähriger Sohn hütet derweil unsere Schafe und die Ziegen der Eltern. Vitjas Frau Olha weint und betet, damit er lebendig wieder zurückkehrt.

Der bekannte anarchistische Künstler David Chichkan meldete sich im Herbst 2024 freiwillig zur ukrainischen Armee und diente als Mörserkanonier. Am 10. August starb er an den Verletzungen, die er bei einem russischen Infanterieangriff im Gebiet Zaporizhia erlitten hatte. Das Bild "Lesja und die Bänder ihres Kampfes" von Lesja Ukrainka hat er 2021 gemalt.
Redaktion dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU und Longo mai Ukraine

Herzlichen Dank!
Unser Spendenaufruf vom Juli hat erfreulicherweise ein reges Echo hervorgerufen. Daher können wir bereits im September und Anfang Oktober weitere Art-Camps für Kriegskinder im Jugendgästehaus SargoRigo durchführen!
Natürlich sind wir weiterhin für jede Unterstützung dankbar.

Demnächst geplante Camps im Jugendgästehaus SargoRigo in Nyzhne Selyshche:
27.8. - 9.9. Horytsvit instagram (unter der Leitung von Margo Kurbanova und Maria Surzhenko, die an der Jahresversammlung von NeSTU im vergangenen April gesprochen haben)
12. - 21. 9. Furt instagram (das siebenköpfige Team bereitet sich auf sein drittes Camp vor)
25.9. - 4.10. Horytsvit
7. - 18.10. Mama und Kind-Camp für junge Mütter und deren unter Kriegsbedingungen geborene Kinder unter der Leitung von Tania Belousova

Somit tanken wieder dutzende junge Menschen unter engagierter Begleitung Mut und Selbstvertrauen. Wir sind froh, dass wir diese Initiativen Dank Ihrer Spenden unterstützen können. 


Konzerte Kammerchor Cantus, 19. Oktober - 2. November 2025
von Krisztina Szakàcs
Nach der Sommerpause nimmt CANTUS seine täglichen Proben wieder auf, um in den kommenden zwei Monaten das neue Programm der 14. Schweizer Konzerttournee fertigzuschleifen.
Wir freuen uns sehr auf die 13 Konzerte mit sorgfältig ausgewählten Werken ukrainischer Komponist:innen – insbesondere auf die von Bohdana Frolyak komponierte Vertonung des Gedichts «HOFFNUNG» von Lesja Ukrajinka. Den detaillierten digitalen Flyer finden Sie hier.

Wir sind sehr dankbar, wenn Sie in Ihrem Bekanntenkreis für die Konzerte Werbung machen. Gedruckte Flyer stellen wir Ihnen auf Anfrage unter cantus.ukraine@gmx.ch gerne zur Verfügung.

Herzlichen Dank – und bis bald!


Folklore aus Charkiw - Solidaritätskonzerte in der Schweiz
Der Ukrainische Kulturverein Prostir in Luzern organisiert eine Konzerttournee eines staatlichen Folkloreensembles aus Charkiw. Die Daten:
Donnerstag, 21. August, 18:00, Sachseln, Bruder Klaus Museum
Freitag, 22. August, 19:30, Yehudi Menuhin Forum Bern
Samstag, 23. August, 17:00, Zürich, Grossmünster
Sonntag, 24. August, 10:00, Basel-Pratteln, Reformierte Kirche
Sonntag, 24. August, 17:00, Luzern, Lukas-Kirche Luzern
Mittwoch, 27. August, 17:00, Luzern Einweihungsfeier Music-Box II
Donnerstag, 28. August, 20:00,  Ebikon Rotseebadi
Weitere Infos hier
 

Tabor Mukachewo
Unter diesem Titel findet am Samstag, 6. September in Bremgarten BE eine Solidaritätsveranstaltung statt. Dazu reist auch eine kleine Delegation aus der Ukraine an: Rada Kalandija von der Organisation Chirikli in Mukachevo und Olya Zubyk von Longo mai in Nyzhne Selyshche. Der Bürgermeister von Bremgarten Andreas Schwab und das Europäische Bürger:innen Forum rufen dazu auf, die Initiative von Rada Kalandija zu unterstützen. Es geht in erster Linie um Sozialarbeit zugunsten der Romafrauen in Mukachevo. Sie leiden einerseits unter extremer Armut, Stigmatisierung und Benachteiligung durch die Behörden, die archaisch-paternalistischen Familienstrukturen in den Romafamilien verschlimmern diese Situation noch zusätzlich. Zur Erinnerung hier der sehr informative Artikel über Radas Arbeit in der NZZ vom 27.5.2025.
 

Die Ukraine im Sommer 2025

Foto oben: Oleksandr Glyadelov, Sommer 2023, ein erschöpfter Soldat nach einem Kampfeinsatz im Donbas. Glyadelov auf Instagram

Unsere gute Bekannte Olena Zashko hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Francis Farrell für den Kyiv Independent im vergangenen Juli 24 Stunden lang in der belagerten Stadt Pokrovsk im Donbas verbracht. Hier ist ihr Videobericht. (in englischer Sprache und Untertiteln). So wie sich die Lage in Pokrovsk entwickelt ist davon auszugehen, dass es der letzte derartige Bericht war.

Seit dreieinhalb Jahre versucht Russland mit allen Mitteln, die Ukraine zu erobern, Ukrainer und Ukrainerinnen zu töten, zu entmutigen, Menschen zu verschleppen und zu foltern, und ein Ende ist nicht in Sicht.

So banal es auch klingen mag, dieser Krieg wird an der Front entschieden. Unsere jungen Freunde, die in Eliteeinheiten kämpfen, sind optimistisch. Ihre Offiziere sind hochqualifiziert und stellen den Schutz ihrer Soldaten an oberste Stelle, ihre Kameraden sind extrem motiviert. Diese häufig von früheren Zivilisten geführten Einheiten machen inzwischen etwa ein Drittel der ukrainischen Armee aus, sie decken, weitgehend autonom von den chaotischen Entscheidungen des Generalstabs, wichtige Frontabschnitte ab und fügen dem Feind enorme Verluste zu. Ihre neu gegründeten Armeekorps umfassen alle Waffengattungen, auch schwere Waffen und natürlich Drohnen aller Art.

Bei Soldaten, die zwangsrekrutiert werden und die häufig bei neu gebildeten Brigaden landen, ist die Stimmung völlig anders. Desertion und Alkoholismus stehen auf der Tagesordnung, die Offiziere sind häufig inkompetent oder korrupt (oder beides). Angehörige versuchen verzweifelt, die Männer über dubiose Wege freizukaufen.
Die Frontlinien sind extrem ausgedünnt, daher waren russische Durchbrüche wie zuletzt bei Dobropyllia im Donbas schon länger erwartet worden. Ja, die Mobilierung ist immer mehr die Achillesferse der Ukraine. Korruption und grobe Willkür wirken demotivierend, und bisher hat Zelenskiy kein Mittel gefunden, die dem Generalstab unterstellten Rekrutierungsbehörden zu reformieren.
 
SAP und NABU
Einige unserer Bekannten in der Schweiz fragten uns, was von den erratischen Reformen der Antikorruptionsbehörden zu halten sei. Zur Erinnerung, das „Antikorruptionsbüro“ NABU und die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft SAP wurden im vergangenen Juli handstreichartig dem (vom Präsidenten ernannten) Generalstaatsanwalt unterstellt. NABU und SAP gehören zu den wichtigsten Errungenschaften des Maidan von 2014, sie verfolgen Korruption von leitenden Staatsbediensteten. Daraufhin protestierten in vielen Städten der Ukraine tausende vor allem junge Menschen tagelang. Auch aus dem Ausland wurde der Beschluss scharf kritisiert. Binnen einer Woche gab das Parlament den beiden Behörden ihre Autonomie zurück. Auch hier kam die Gesetzesvorlage direkt vom Amt des Präsidenten und wurde fast einstimmig angenommen.

Zelenskiy und seinem Beraterstab sind unabhängig agierende Strukturen ein Dorn im Auge, sie denken in Clan-Kategorien. Die Errungenschaften des Maidan können sie kaum nachvollziehen, sie waren daran nicht beteiligt und ihr Verständnis vom Staat geht (vielleicht etwas überspitzt formuliert) nicht von mündigen Staatsbürgern und -bürgerinnen aus. An sich hat Zelenskiy bisher meist einen guten Instinkt für die Stimmungen in der Bevölkerung bewiesen. Meine sehr subjektive Einschätzung ist, dass er nach über drei Jahren Krieg diesen Instinkt etwas eingebüsst hat. Dazu kam, dass das NABU im Juni einen engen Familienfreund der Zelenskiys ins Visier genommen hat. Der seither entlassende Vizeregierungschef Oleksi Tschernyschow wird verdächtigt, dem Staat Schaden von über einer Milliarde Hryvna (20 Mio CHF) zugefügt zu haben.

Mindestens so wichtig wie die unabhängige Tätigkeit von NABU und SAP ist, dass es schon wieder eine junge Generation in der Ukraine gibt, die für einen transparenten Staat spontan auf die Strasse geht, und zwar in allen grösseren Städten, sogar in Charkiw und in Zaporizhia. Viele von ihnen waren zu Zeiten des Maidan vor elf Jahren noch Kinder. Es gab keine politische Kraft, die diese Proteste orchestriert hätte. Und nachdem Zelenskiy weiterhin ein «Facebook-Präsident» ist, hat er binnen kürzester Zeit den richtigen Schritt unternommen. Dass er mit diesem Hin und Her vor allem im Ausland etwas von seinem guten Ruf eingebüsst hat, daran kann er aber nun vermutlich nichts mehr ändern.

Kontakt zu NeSTU:

Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
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Jürgen Kräftner