Rundbrief 12.12.2023

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU
Die Adventszeit wird dieses Jahr in der Ukraine von einem schönen Wintereinbruch begleitet, worüber sich besonders die Kinder freuen. Um Kinder und Jugendliche in der Ukraine, und Initiativen zu deren Gunsten, geht es auch in diesem Rundbrief. NeSTU unterstützt verschiedene Projekte in der Ukraine, die sich in der Rehabilitierung der vom Krieg gezeichneten jungen Menschen engagieren. Mariya Surzhenko und Marharyta Kurbanova organisieren in Nyzhne Selyshche und hoch oben in den Karpaten Art-Camps. Wir haben mit ihnen über ihre Motivation und ihre Erfahrungen gesprochen, das vollständige Gespräch ist hier auf unserer Website zu finden. 

Die Tournee des Kammerchores Cantus ist vorbei und diesmal dürfen wir getrost sagen, es war toll. Das Organisationsteam ist erschöpft aber glücklich. Auch von den Chorsängerinnen und -sängern haben wir sehr positive Rückmeldungen bekommen. Andreas Müller-Crepon, bekannt als jahrzehntelanger Redaktor bei Radio DRS, hat für uns in dankenswerter Weise seine Eindrücke vom letzten Konzert der Tournee in Andelfingen schön zusammengefasst. Im kommenden Rundbrief veröffentlichen wir ein Interview von Monika Fischer (frühere Präsidentin von NeSTU) mit den beiden Hauptverantwortlichen der Tournee, Ursula Stamm und Krisztina Szakacs.
Eines der Konzerte wurde gefilmt und wir warten gespannt auf das Video. Als Vorgeschmack hier ein Ausschnitt auf Youtube.

Die Ukraine befindet sich im zweiten Kriegswinter. Für diejenigen, die nicht müde sind, davon zu hören und zu lesen, kommen in diesem Rundbrief ein paar persönliche Einschätzungen. Wir hätten natürlich auch gerne, dass der Krieg uns vergisst. Heute Morgen haben russische Hacker den grössten ukrainischen Mobilfunkanbieter im gesamten Land lahmgelegt, die Reparaturarbeiten werden unbestimmte Zeit in Anspruch nehmen. 

Drei Ankündigungen:
Fr 8. und Sa 9. März 2024 laden wir zum Workshop für traditionellen Gesang der Ukraine mit Anna Ochrimtschuk in Winterthur. Der Flyer ist hier. Die Anzahl der Teilnehmenden ist auf 15 Personen begrenzt!
Sa 16. März 2024 nachmittags, die Jahresversammlung von NeSTU in Luzern, Details kommen im nächsten Rundbrief.
Die Hudaki Village Band kommt im Frühjahr in die Schweiz. Es gibt noch freie Termine Anfang März und Anfang Juni. 
Redaktion: Jürgen Kräftner, NeSTU-Ukraine

Jugendliche zeichnen im Krieg
Dieses Selbstportrait des 15jährigen Stas (Stanislaw) aus der Region Mykolajiw ist Teil einer Grusskartenserie, die derzeit in Kyiv für NeSTU gedruckt und hoffentlich schon bald bei unserer Geschäftsstelle erhältlich sein wird. Stas hat an einem der Jugendlager von Base_UA in den Karpaten teilgenommen, mehr dazu im Interview mit Marharyta Kurbanova und Mariya Surzhenko weiter unten. 

NeSTU unterstützt die Art-Camps von Base_UA und weitere Initiativen, die Kindern und Jugendlichen in der Ukraine helfen, mit ihren Kriegstraumata zurechtzukommen. Dafür sind wir weiterhin auf Ihre finanzielle Unterstützung angewiesen und danken ganz herzlich für jede Spende!

Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2


Klang des Himmels, Stimmen der Erde: Abschied in Andelfingen

Eindrücke vom Schlusskonzert der CANTUS-Tournee
Die Schlange am Kircheneingang lässt vermuten, dass manche Fans des Kammerchors aus Uzhhorod ihren Konzertbesuch bis zum letzten Termin aufgespart haben. Jedenfalls lauscht eine volle Kirche den ernsten, klaren Worten von Lesja Levko, die auch die kurze Begrüssung von Emil Sokach übersetzt. Er macht klar: nichts kann so deutlich vom Leben und den Gefühlen der Menschen in der Ukraine erzählen wie diese Musik. Sein Programm löst das Versprechen ein, es umspannt geistliche, wie auch von der Volkskunst inspirierte Werke. Schlicht und mit zunehmender Kraft setzt Mykola Lysenkos Gebet für die Ukraine den Anfang, und schon mit dem Beginn des nächsten Stücks zeigt der Chor, was ein mystisches Pianissimo an Stimmung auslösen kann. Romantische und gemässigt moderne Tonsprache im Wechsel machen das Konzert zu einer Reise durch ganz unterschiedliche poetische Welten, von der Volkslied-inspirierten Sehnsucht aus Lesja Dychko’s Kantate „Roter Schneeball“ über ein sprachspielerisches, frisches Schnitterlied bis zu Taras Schevchenko’s schmerzlichem Heimweh bei Sonnenuntergang. Die Komponistin Bohdana Frolyak hat daraus eine ergreifende Elegie gestaltet, die ganz auf sentimentale Töne verzichtet und grosse Gestaltungskraft erfordert. Kein Problem für CANTUS, scheinbar. Genauso die Kulmination des Konzerts im vorletzten Stück, einer Psalmenvertonung von Viktoria Poleva, die Emil Sokach vom nachdenklichen, klagenden Beginn über ein schier endloses, meisterhaft gebändigtes Crescendo zum Notschrei voller Bitterkeit zu steigern weiss. „Herr, wie zahlreich sind meine Feinde“ - die Worte hallen nach, auch als die unendlich zarten Klangschattierungen von Valentin Silvestrov’s Gebet für die Ukraine den Bogen schliessen. Trotz aller Widrigkeiten bei der Vorbereitung der Tournee hat CANTUS auch diesmal Maßstäbe gesetzt, was den Chorklang und die Gestaltung angeht - dass aus dem Kammerchor immer wieder einzelne Solostimmen hervortreten und emotionale wie stimmliche Glanzlichter aufsetzen, überrascht da nicht wirklich. Klang des Himmels, Stimmen der Erde - ein Programm, dass es wert wäre, auch auf Tonträgern oder als Streaming-Angebot sein Publikum zu finden. Es besteht Suchtgefahr.
Andreas Müller-Crepon

Foto: Der Kammerchor Cantus beim Einsingen und Erproben der Akustik in der Kulturkirche Paulus in Basel



Alles stehen und liegen lassen, um Jugendlager in der Ukraine zu organisieren: Marharyta und Mariya von Base_UA
Ein Interview mit zwei jungen Frauen aus Donezk, die seit Sommer 2022 in den ukrainischen Karpaten Art-Camps für Kriegskinder organisieren. NeSTU unterstützt die Art-Camps der NGO Base_UA, die nach Kriegsbeginn von einigen Freiwilligen gegründet wurde. 
Dies ist nur der Beginn des Interviews. Der gesamte Text mit weiteren Fotos ist auf der Website von NeSTU zu finden.
Die in Berlin lebende ukrainische Schriftstellerin Katja Petrowskaja hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eindrücklich ihre Begegnung mit Marharyta Kurbanova geschildert, hier als PDF nachzulesen.

Foto: Marharyta (Margo), links mit dem Fotoapparat, rechts von ihr Mariya (Mascha).

Jürgen Kräftner: Wie kam es dazu, dass Ihr beide seit Kriegsbeginn in der Ukraine schon sieben Jugendlager organisiert habt?
Marharyta Kurbanova: Ich stamme aus der Stadt Donezk, seit 2014 ist sie von Russland besetzt. Von 2012 bis 2017 habe ich an der Kiever Hochschule für Kunst Karpenko-Kary studiert, anschliessend bin ich nach Deutschland gegangen und studiere seither an der Filmhochschule Babelsberg in Potsdam.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Truppen im Februar 2022 haben wir mit meinem Mann Anton damit begonnen, Menschen in der Ukraine bei der Flucht zu helfen, humanitäre Hilfe zu verteilen, einfach das zu tun, was die Leute damals am dringendsten brauchten. Anton hat schon bald seinen Jugendfreund Mischa wiedergefunden, dann kam noch Patrick von der Organisation LeaveNoOneBehind dazu. Gemeinsam haben sie beschlossen, eine NGO zu gründen und haben ihr den Namen Base_UA gegeben. Mein Job war damals, diese Arbeit mit kurzen Videos zu dokumentieren. Einmal, als wir Leuten in Lissitschansk (Oblast Luhansk) bei der Flucht geholfen haben, das war im Juni 2022, bin ich einem zwölfjährigen Mädchen begegnet. Sie kam jeden Tag mit ihrem Hund zu unserem Stützpunkt, wo humanitäre Hilfe verteilt wurde. Von dort wurden auch die fluchtwilligen Menschen abgeholt. Sie kam ganz allein, und wir haben begonnen miteinander zu spielen und sprachen über das Leben in dieser Geisterstadt. Dort gab es damals schon keine Telefonverbindung mehr, Strom- und Wasserversorgung waren auch zusammengebrochen. Es gab auch keine Läden mit Lebensmitteln mehr. Alles war zerbombt. Und ich fragte sie, wie es denn kam, dass sie ganz alleine durch diese Stadt lief. Sie kam zu unserem Stützpunkt um mit den Kindern zu spielen, die dort im Keller lebten. Wir sind dann unter Artilleriebeschuss geraten. Wir waren in unserem Stützpunkt und es gab einen direkten Beschuss. Alle Leute, die sich dort aufhielten, waren sehr erschrocken, und Mascha, so hiess dieses Mädchen, auch. Sie hat sich an meine Hand geklammert und hat mich gebeten, dass wir sie aus der Stadt wegbringen. Ich habe begriffen, dass das eine Kindesentführung ist, und dass wir diese Verantwortung nicht tragen können. Ich war damals in Begleitung eines  Notfallsanitäters, Kevin, und gemeinsam haben wir beschlossen noch eine Woche in dem Stützpunkt zu bleiben und das Mädchen dann mitzunehmen. Denn nachdem es schon einen Beschuss gegeben hatte, war klar, dass weitere folgen würden. Wir würden es uns nicht verzeihen, wenn Mascha beim nächsten Beschuss ums Leben käme. Wir bringen sie weg, und falls die Mutter mit der Flucht nicht einverstanden wäre, könnten wir sie immer noch zurückbringen. Wir haben unsere mobile Einsatzgruppe, die in der Stadt Lebensmittel verteilte, über unseren internen Funkverkehr gebeten, der Mutter mitzuteilen, dass wir Mascha mitgenommen hätten und dass es ihr gut ginge. Und dass wir dem Rest der Familie auch bei der Flucht helfen könnten. 
 

Aber die Mutter hat gesagt, gebt mir mein Kind zurück und wir mussten Anwälte einschalten. Sie wollte nicht flüchten, denn sie hatte noch ein kleines Kind, das behindert war. Die Polizei sagte uns, ihr müsst Mascha zurückbringen, und die Soldaten sagten «tut das nicht», denn die Stadt wird bald von Russen besetzt. Am Ende hat Mascha ihre Mutter zur Flucht überreden können. Jetzt leben sie gemeinsam in einem Dorf in der Nähe von Lviv und wir sind regelmässig in Kontakt. 

Nach diesem Erlebnis mit Mascha sind wurde uns klar, dass wir uns gezielt für Kriegskinder einsetzen wollen, und die erste Idee war, Art-Camps zu organisieren. Das lag auf der Hand, denn sowohl mein Mann Anton als auch ich sind Filmemacher und Kunst ist für uns wichtig. 

Das war noch im Juni 2022. Ich habe dann gleich meine beste Freundin Mariya angerufen, wir kennen uns seit der 7. Schulklasse. Mariya ist Pädagogin. Ich fühlte, dass wir beide als Tandem für dieses Projekt prädestiniert waren. Sie war einverstanden und so haben wir gemeinsam überlegt, wie ein ideale Jugendlager ablaufen würde, an dem wir selber in diesem Alter gerne teilgenommen hätten.
Der Rest des Interviews mit weiteren Fotos ist hier zu finden


Ein paar Gedanken nach bald 20 Monaten Krieg

Fotos oben und unten: Die Stadt Maryinka, 30 km westlich von Donezk, in Aufnahmen von 2014 und 2023. 2019 lebten hier noch knapp 10'000 Einwohner. 


Schon im vergangenen Sommer und spätestens im Herbst mussten wir uns mit der schrecklichen Vorstellung abfinden, dass dieser Krieg noch lange andauern wird, wahrscheinlich Jahre. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Waleri Saluschny (er ist in der Ukraine sehr beliebt), gab in einem Interview im Oktober zu, dass er die russische Hartnäckigkeit unterschätzt habe, grenzenlos Infanteriesoldaten in Angriffen zu opfern, die hiezulande als "Fleischangriffe" bezeichnet werden. Die Verluste an Menschenleben sind enorm, aber das scheint keine Rolle zu spielen. In der Nähe der Stadt Awdijiwka, unweit von Donezk, sollen die Russen im Oktober und November täglich mehr als tausend Mann verloren haben. Neben Schwerverbrechern, die aus den Gefängnissen an die Front gebracht und nach sechs Monaten Kriegsdienst begnadigt werden, gibt es auch eine unerschöpfliche Zahl armer Kerle aus entfernten russischen Provinzen, die davon träumen, ihre Schulden mit dem Sold der Armee zu begleichen. Für viele von ihnen erweist sich diese Entscheidung als fatal. Ich glaube, dass Saluschny mit diesem Interview vor allem seine Soldaten vor dem verantwortungslosen Wunschdenken von Politikern und Medien sowohl in der Ukraine als auch im Ausland schützen wollte. Die Erwartungen an die "große Gegenoffensive" waren offensichtlich zu hoch und ignorierten die Tatsache, dass sich die Russen bereits seit fast einem Jahr auf sie vorbereiteten.
Es ist leider weiterhin so, dass die westlichen Alliierten der Ukraine gerade soviel geben, dass sie nicht aufgeben muss, aber nicht genug, um die Russen in absehbarer Zeit aus den besetzten Gebieten zu vertreiben. Und während alle Augen auf den Nahen Osten gewandt sind, sterben bei uns weiter jeden Tag Menschen an der Front und unter dem Raketenbeschuss auch weit im Hinterland.

Hier der Link zum Interview mit Saluschny im Economist (auf Englisch)

10 Jahre nach dem Maidan
In diesen Tagen erinnern wir uns in der Ukraine an den Beginn des Maidan vor zehn Jahren. Dieser dreimonatige Aufstand war das grosse (und schmerzhafte) Aufwachen der ukrainische Gesellschaft, ein kollektiver Bewusstseinswandel. Am Ende floh der Präsident-Diktator nach Russland; dieses besetzte daraufhin die Krim und begann  den Krieg im Donbas. Wer den Maidan in seiner ganzen Komplexität nicht versteht, kann auch den heutigen Krieg nicht verstehen. Die Schwierigkeit für uns Westeuropäer besteht darin, dass diese Komplexität alle Schemas sprengt, nach denen wir die jüngere Geschichte der Einfachheit halber gerne betrachten.
Ich habe Freunde, die weiterhin davon überzeugt sind, dass der ukrainische Nationalismus die Ursache für alle Probleme in unserem Teil der Welt ist.

Diejenigen unter uns (hier in der Ukraine), die die westlichen Medien verfolgen, hören natürlich die Stimmen, die zu Verhandlungen aufrufen. Doch ohne die Befreiung der besetzten Gebiete ist so ein Vorschlag höchstens ein Achselzucken wert. Sollte die Unterstützung des Westens deutlich abnehmen (z.B. nach einer Wiederwahl von Donald Trump), wird dies wahrscheinlich zu einem faulen Waffenstillstand wie während der Besetzung des Donbas von 2016 bis 2022 führen, aber nicht zu einem Frieden. Dieser wird noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung mit sich bringen, die besetzten Gebiete werden sich noch mehr in rechts- und gesetzlose Territorien verwandeln, in denen die Bevölkerung der Willkür von Kriminellen ausgeliefert sein wird, so wie es im besetzten Donbas schon seit 2014 ist. Der russische Staatshaushalt sieht für 2024 Ausgaben für die Armee von über 100 Milliarden Franken vor, ein Drittel des Gesamtbudgets. Was eine weitere Kapitulation der demokratischen Länder vor der brachialen Gewalt eines mittelalterlichen Kriegsherren in anderen Teilen der Welt bedeuten könnte, darüber will ich hier nicht spekulieren.

Das Schwarze Meer
Ist Euch aufgefallen, dass kaum noch jemand über eine Hungersnot in Afrika spricht, die durch den Stopp der Getreideexporte der Ukraine verursacht werden könnte, und dass auch das Getreideabkommen mit Russland kein Thema mehr ist? Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Hauptgrund ist, dass die ukrainische Armee der russischen Marine in den letzten Monaten so grosse Verluste zugefügt hat, dass diese das Schwarze Meer nicht mehr kontrolliert, zumindest nicht die Gebiete in der Nähe der rumänischen und bulgarischen Küste. Das ist für unsere südlichen Regionen (Odessa, Mykolajiw) und sogar die gesamte Ukraine sehr wichtig, da die russische Marine die Fähigkeit verloren hat, Raketen aus dem Schwarzen Meer abzufeuern. Und für den Getreideexport ist es sehr wichtig, da nun ein Schifffahrtskorridor nahe der rumänischen und bulgarischen Küste gesichert wurde und Handelsschiffe wieder ukrainischen Weizen und Mais über den Bosporus auf den Weltmarkt transportieren können. Dennoch soll demnächst auch in Transkarpatien ein Getreideterminal gebaut werden, um den Landtransport effizienter zu gestalten. Vor ein paar Wochen fuhr ein Getreideschiff im Schwarzen Meer auf eine Mine, was die Versicherungsprämien sprunghaft ansteigen ließ, und das hat natürlich Auswirkungen auf die Getreidepreise.
Gleichzeitig sieht man an der Grenze zu Rumänien lange Schlangen von Lastwagen, die mit Agrarprodukten beladen sind.

Ein langer Krieg
Natürlich wollte anfangs niemand an einen langen Krieg denken, eigentlich wollten wir überhaupt nicht an Krieg denken. Nach der Ausrüstung und den Vorräten zu urteilen, die die russischen Elitetruppen beim Vormarsch auf Kyiw mit sich führten, dachten Putin und seine Handlanger, dass sie die ukrainische Regierung nach wenigen Tagen durch ein Marionettenregime ersetzen würden. Umgekehrt würde ich das, was nach dem 24. Februar 2022 in unseren Köpfen vorging, nicht als "Denken" bezeichnen. Die Männer und Frauen, die sich Ende Februar 2022 freiwillig zur Armee meldeten, dachten auf keinen Fall daran, auch fast zwei Jahre später noch an der Front zu stehen. Viele von ihnen starben oder wurden verstümmelt, andere wurden von den Russen inhaftiert. Wir machen uns grosse Sorgen um unseren Freund Maksym Butkevych, einen Menschenrechtsverteidiger, der seit mehr als 17 Monaten in Kriegsgefangenschaft ist. Nachdem er im August vor dem Berufungsgericht stand, verschwand er monatelang. Vor ein paar Tagen erhielt sein Anwalt endlich den Bescheid, dass Maksym in ein Gefängnis in einem Provinzort von Luhansk überstellt wurde, gerade gestern konnte er sogar mit ihm sprechen.
Es gibt Tausende ukrainische Kriegsgefangene. Seit Beginn des Krieges wurden 2000 von ihnen ausgetauscht, aber seit dem Sommer gab es keinen Austausch mehr. Diejenigen, die freigelassen wurden, berichten von Misshandlungen, Folter und einem Mangel an allem. Laut dem ukrainischen Ombudsman wurden 28'000 ukrainische Zivilpersonen ebenfalls nach Russland verschleppt.

Andere Realitäten
Es gibt auch die anderen, diejenigen, die sich nicht vorstellen konnten, ein liberales Gesellschaftsmodell, die Freiheit oder ganz einfach den Ort, an dem ihre Familien leben und Vorfahren lebten, zu verteidigen. Die Dörfer in Transkarpatien sind von ihrer männlichen Bevölkerung entleert. In dieser Region mit ihrer langen Tradition der saisonalen Migration hatten viele den Braten gerochen und waren vor dem Krieg in eines der Nachbarländer ausgereist, in denen es chronisch an Arbeitskräften mangelt. Im Laufe der Monate liessen viele von ihnen ihre Familien nachkommen und machten von der Möglichkeit Gebrauch, dass das Aufenthaltsrecht für Ukrainer während des Krieges vereinfacht wurde. Viele «einfachere» Menschen können sich aber auch nicht vorstellen, in einem fremden Land zu leben, und machen daher nach dem traditionellen Muster weiter: Die Männer arbeiten im Ausland, die Frauen besuchen sie ab und zu und bringen etwas Geld nach Hause. Aber auch hier hat niemand damit gerechnet, dass der Krieg jahrelang dauern wird. Die Männer wollen nicht zurückkehren, da sie in die Armee eingezogen werden, sobald sie an der Grenze auftauchen. Der soziale Preis dieser erzwungenen Emigration und der Trennungen ist zwangsläufig sehr hoch. 
Auch im zweiten Jahr des Krieges haben sich viele Männer mit allen möglichen Tricks aus dem Staub gemacht. Meinem subjektiven Eindruck nach ist es eher die Sache von Männern aus anderen Regionen, Tausende von Euro an Schlepper oder korrupte Grenzbeamte zu zahlen, während die Männer hier fast immer einen Weg mit geringerem Risiko finden.
Es ist schwer, sich vorzustellen, welche Folgen das alles für unsere Region hat. Werden die Flüchtlinge aus dem Osten hier bleiben, und vor allem welche von ihnen? Als ich kürzlich durch Uzhhorod fuhr, war ich sanft schockiert über all die Teslas und die neuen Luxusboutiquen. Die Mieten haben sich verdoppelt. Soziologische Studien belegen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich seit Beginn des Krieges in der gesamten Ukraine stark zugenommen hat. 
Eine andere Seite der Migration: Unsere direkten Nachbarn sind in die Slowakei gezogen, der Ehemann vor dem Krieg zum Arbeiten, seine Frau und ihr 13jähriger Sohn seit einem Jahr. Sie leiden unter dem anti-ukrainischen Rassismus der Slowaken und wollen so schnell wie möglich zurückkehren. Der Junge, der sehr nett und gesellig ist, hat in einem Jahr keine Freunde unter seinen Klassenkameraden gefunden und leidet stattdessen unter Mobbing aufgrund seiner Herkunft.

Zurück zum Winter
Die russische Armee bombardiert die ukrainischen Städte jeden Tag und vor allem jede Nacht. Die Alarmsirenen heulen jeden Tag, auch in unserer Region. Der Unterschied besteht darin, dass in Städten wie Cherson, Saporischschja und vielen anderen die Einschläge, Zerstörungen, Toten und Verletzten ebenfalls täglich sind, während wir verschont bleiben. In einem Dorf im Nordosten wurden im Oktober über 50 Zivilisten während einer Beerdigung getötet. Seit einigen Monaten beobachten wir jedoch, dass die Russen vor allem iranische Drohnen für ihre Angriffe verwenden. Die viel teureren Raketen setzen sie nicht ein, deren Anzahl und die Produktionskapazitäten sind begrenzt. Es gibt eine durchaus plausible Befürchtung, dass dies eine strategische Entscheidung ist (Schätzungen zufolge besitzen die Russen derzeit fast 900 ballistische Raketen aller Art), um massive Angriffe auf die Energieinfrastruktur zu starten, sobald die Kälte kommt. Diesmal wird es für niemanden eine Überraschung sein. Bei uns in Transkarpatien wurden die Schulen angewiesen, die Warnungen bloss nicht zu ignorieren, denn Geheimdienstberichten zufolge soll unsere Region dieses Mal nicht verschont bleiben.

 

Foto oben: Oleksandr Glyadyelov, Region Cherson kurz nach der Befreiung im Dezember 2022

Was mir sonst so aufgefallen ist
Hier, völlig chaotisch, verschiedene Fakten und subjektive Eindrücke
Die Familienmitglieder einiger Soldaten protestieren öffentlich und fordern ihre Demobilisierung nach bald zwei Jahren an der Front. Das hat nichts mit Kapitulation zu tun, eher mit einer gerechten Verteilung der Kriegslast. Die Aushebung neuer Soldaten wird immer schwieriger, immer wieder kommt es zu Übergriffen der Feldjäger, entsprechende Videos werden in den sozialen Medien rasch verbreitet.
Eine Freundin (eigentlich ein Familienmitglied) kehrte aus Tschechien zurück, wo sie sich in einer Fabrik ausgebeutet fühlte, und fand zu Hause (in der Nähe von Rivne, im Nordwesten der Ukraine) einen gut bezahlten Job in einem neuen Unternehmen, das Artilleriegeschosse herstellt. Das ist natürlich jetzt ein Produkt, das voll im Trend liegt. Ein anderer Freund, der uns beim Unterhalt unsere Maschinen für die Apfelsaftproduktion hilft, stellt an seinen Wochenenden Drohnen aus Karton her, die für Radargeräte unsichtbar sind und lautlos Sprengstoff über 30 km transportieren (wenn alles gut geht).
Und auch eine unserer Realitäten: Seit Beginn des Jahres 2023 wurde in der Ukraine eine Rekordzahl kleiner Privatunternehmen gegründet. Überraschenderweise wächst auch die Wirtschaft mehr als prognostiziert, 6 anstelle der erwarteten 4 Prozent. Viele Unternehmen sind aus den Kriegsgebieten in die Zentral- und Westukraine geflüchtet und haben sich besser als erwartet zurechtgefunden.

Der Staatshaushalt für 2024 wurde von der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, verabschiedet. Fast 50 % der Mittel werden für die Kosten des Krieges, der Armee und der Rüstung aufgewendet. Es ist kein Strassenbau vorgesehen, das war Zelenskys Lieblingsprojekt vor dem Krieg. Es stimmt, dass es dadurch schwierig wird, bestimmte Strecken als "Strasse" zu bezeichnen, da man für eine Fahrt von einem Dorf ins andere oft die dreifache Zeit benötigt.

Der Kampf gegen Korruption geht auch während des Krieges weiter und ich würde sagen, dass er allmählich an Schwung gewinnt. Ende November wurde der Leiter des staatlichen Komitees für die Digitalisierung der Armee verhaftet, gemeinsam mit einem Komplizen sollen sie fast 1,5 Millionen Euro gestohlen und gleichzeitig die Digitalisierung stark gebremst haben. Wie viele Tote sie auf dem Gewissen haben, bleibt unberechenbar. Es ist jedoch festzustellen, dass wieder einmal Personen, die dem innersten Machtzirkel in Kyiv sehr nahe stehen, inhaftiert wurden, und ja, das ist ein gutes Zeichen.

Zum Eine etwas überraschende Kurzmeldung: Im Norden der Ukraine (Region Sumy) gibt es einen inoffiziellen Übergang zwischen Russland und der Ukraine, der es Ukrainerinnen und Ukrainern aus den besetzten Gebieten ermöglicht, in die Ukraine zurückzukehren, siehe den Artikel in der NYT:
https://www.nytimes.com/2023/11/16/world/europe/russia-ukraine-war-border-crossing.html

Eines der seriösesten Medien in der Ukraine hat sich mit der Demografie während und nach dem Krieg befasst (auf Englisch):
https://zn.ua/eng/birth-rate-in-ukraine-what-has-changed-and-what-will-change-after-the-victory.html

Und auch auf Englisch, das Gespräch des unersetzlichen Historikers Timothy Snyder (u.a. Autor von Bloodlands) mit unserer Freundin Nataliya Gumenyuk über alle brennenden Fragen rund um die Ukraine, als Podcast:
https://soundcloud.com/laboratoriya-19057531/snayder-pro-fashistsku-rosyu-genotsid-yaderniy-blef-kremlya-ta-ukranske-rozumnnya-svobodi

In die Ukraine reisen
Seit ein paar Tagen wurde es einfacher, zu uns zu kommen. Die ukrainischen Eisenbahnen profitieren offensichtlich von der Tatsache, dass die zivile Luftfahrt seit Beginn des Krieges stillsteht, und so gibt es seit vergangener Woche mehrere neue Verbindungen mit dem Westen: Direkte Züge von Kyiv - Chop - Wien und Chop - Prag. Der Grenzübertritt mit dem Zug ist hundertmal angenehmer und einfacher als mit dem Auto, wo man immer der Willkür der ungarischen und slowakischen Zollbeamten ausgeliefert ist. 
 

Kontakt zu NeSTU:

Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
Möchten Sie keine Mails von NeSTU mehr empfangen? Sie können sich hier abmelden:
unsubscribe from this list






Jürgen Kräftner
Rundbrief 13.10.2023

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Es sind noch wenige Tage bis zur Tournee des Kammerchors CANTUS in der Schweiz. Bereits am Donnerstagabend 19.10. wird der Chor in Melchtal eintreffen, am Freitag startet die Tournee mit dem Chorworkshop. Das erste Konzert erklingt am Sonntag in Stans. Die Tourneedaten sind hier zu finden. Wir hoffen auf zahlreiches Publikum und freuen uns über jede Hilfe beim Werben für die Konzerte. Mehr über CANTUS ist auf unserer Website zu erfahren.

Samstag, 28. Oktober, 18 - 21 Uhr, Eröffnung der Ausstellung Vidkrytky im Freiwerk Basel. Kinder, die vom Krieg Russlands gegen die Ukraine betroffen sind, gestalten ihre individuellen Postkarten. Zum Flyer (PDF)
Die drei ukrainischen Künstler.innen, die das Projekt initiiert haben, werden anwesend sein, auch mehrere Vorstandsmitglieder von NeSTU werden teilnehmen. Hier nochmals der Bericht vom letzten Einsatz in Kramatorsk. Wir wollen den Anlass auch nutzen, um über die Art-Camps in Nyzhne Selyshche zu informieren.
Dauer der Ausstellung: 28.10. - 28.11.2023
Öffnungszeiten
Mittwoch - Freitag: 14-20h
Samstag: 10-20h
Sonntag: 10-18 Uhr

Verein Freiwerk, Basel
Elsässerstrasse 215 | 4056

Ein Lesetipp: Der polnischen Schriftsteller Szczepan Twardoch hat viel Zeit im ukrainischen Kriegsgebiet verbracht und zitiert in seinem Essay einen der Soldaten, mit denen er gesprochen hat: Dieser Krieg ist für immer (PDF).

Dieser Rundbrief ist in erster Linie einem Interview mit der Leiterin des Medizinischen Hilfskomitees Transkarpatien CAMZ gewidmet. Nataliya Kabatsiy und ihr Team leisten eine kolossale Arbeit und wir sind froh über unsere Kollaboration und Freundschaft.
Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU und Longo mai Ukraine.
 

Die Eröffnung der Ausstellung am 28.10. im Basler Freiwerk wird auch musikalisch begleitet. Ab 22 Uhr treten zwei Musiker aus dem seit 2014 besetzten Donezk auf. Hier deren Selbstpräsentation:
Wir sind Pavel und Anton, Musiker und DJs aus Donezk. Unsere Geschichte begann damit, dass wir in den besetzten Gebieten illegale Raves namens "PRIZMA" organisierten. Dort schufen wir einzigartige musikalische Welten, in denen die Menschen die harten Zeiten vergessen konnten. Doch der Einmarsch Russlands in die Ukraine zwang uns, unsere Heimat zu verlassen, und wir verloren unser Zuhause und die Möglichkeit, an unserem Lieblingsort Musik zu machen.
Heute tragen wir unser musikalisches Erbe durch die monatliche Sendung "Sound of BOCTOK" weiter, die vom Label VOSTOK unter Mitwirkung von Anton auf RBL Radio organisiert wird. Unser Ziel ist es, die Kulturszene der Ostukraine zu präsentieren und Künstler aus dieser Industrieregion trotz ihrer erzwungenen Umsiedlung in verschiedene Teile der Welt zu vereinen.
Die Teilnahme an dieser Ausstellung ist unsere Art, unsere Geschichte mit anderen zu teilen und auf eine strahlende Zukunft zu hoffen, die sicherlich eines Tages kommen wird, wenn unser Heimatland seinen Frieden wiedergefunden hat und die Musik unsere Häuser wieder mit ihrem Klang erfüllt.


Vielfältiges Erbe und bedrängte Gegenwart
Der Kammerchor Cantus auf Tournee in der Schweiz, 22. Oktober - 5. November

Dirigent Emil Sokach zum diesjährigen Programm:
Es sind die Gedanken, Gefühle und Erfahrungen aus eintausend Jahren, die sich in der Auswahl dieser Musikstücke verdichten. Die Geschichte der Ukraine ist geprägt von Kampf und Sehnsucht, von Begeisterung und Verzweiflung sowie von Niederlagen und Siegen. Aus den tiefsten Empfindungen der Menschen wuchs so eine reiche und vielschichtige Kulturlandschaft. In einer historischen Retrospektive kann so die Nationenbildung der Ukraine verstanden werden.
Immer bewegte die Menschen der Glaube an eine höhere Gerechtigkeit dazu, sich im Gebet an Gott zu wenden, Segen zu empfangen und im Glauben Trost zu suchen. Die geistliche Musik, von einer Generation an die nächste weitergegeben, enthält unermessliche Schätze, ganz wie die uralte sakrale Architektur der Ukraine.
Die Frauen und Männer in der Ukraine sangen seit jeher von Liebe und Freundschaft, von der Liebe zum Vaterland, zum Gedenken an ihre Helden. Von vielen dieser Lieder, mittlerweile tief verankert im Gedächtnis des Volkes, wissen wir nichts über ihre Herkunft oder Entstehung. Sie stammen aus längst vergangenen Epochen der Geschichte, doch wenn wir sie heute singen, beweisen sie ihren Wert auch in modernen Arrangements.

Unsere durch den Krieg verdunkelte Gegenwart, die vom Kampf um Unabhängigkeit, Menschenrechte und Freiheit geprägt ist, widerspiegelt sich in der Palette der Stimmungen dieser Stücke. Heute ist die Ukraine ein vielstimmiges Gebet, eine wiederbelebte Erinnerung, ein Glaube an das Beste und Hellste für jeden Menschen mit guten Absichten.
Spüren Sie mit uns in jedem Stück, in jeder Schwingung den „Klang des Himmels, die Stimmen der Erde“.
Tourneeflyer


Interview mit Nataliya Kabatsiy
Nataliya Kabatsiy, 43, für Freunde und Bekannte Natascha, ist Gründungs- und Vorstandsmitglied von NeSTU. Sie ist Philologin und hat Masterabschlüsse in Politikwissenschaften und Öffentlichem Gesundheitswesen. Seit über 20 Jahren leitet sie das Transkarpatische Komitee für Medizinische Hilfe CAMZ. Diese unabhängige ONG hat im Laufe der Zeit zahlreiche Projekte im regionalen Gesundheitswesen realisiert und besonders in der Betreuung von Menschen mit Behinderung eine Vorreiterrolle für die ganze Ukraine eingenommen. Dabei wird sie vom Schweizer Verein Parasolka massgeblich unterstützt.
Dank dieser vielschichtigen Erfahrung war das CAMZ zu Kriegsbeginn - auch mit der Unterstützung von NeSTU - in der Lage, dort zu helfen, wo es am dringendsten nötig war. Ich habe Natascha in ihrem Büro in Uzhhorod Anfang Oktober über ihre aktuellen Projekte und ihre Einschätzung zur Arbeit der internationalen Organisationen befragt.


 
JK: Bitte erzähle mir etwas über die Arbeit des CAMZ im zweiten Kriegsjahr.
 
NK: Ja, womit sollen wir anfangen. Seit einiger Zeit läuft ein umfangreiches Projekt zur Unterstützung für Schwangere in Transkarpatien. Viele Frauen und besonders Schwangere leiden unter Stress durch den Krieg, Vertreibung, ihre Männer sind im Krieg etc., sie brauchen psychologische Betreuung.
 
Und wir unterstützen zwei Partnerorganisationen in Uzhhorod und in Jasinya (ganz im Osten Transkarpatiens gelegen). Seit dem vergangenen Juni betreuen sie regelmässig Kinder von 8 bis 14 Jahren. Die Betreuung richtet sich bewusst sowohl an Kinder aus geflüchteten Familien und an Einheimische, damit sich niemand diskriminiert fühlt. Ausserdem fördert dies die Integration der Kinder aus den Kriegsgebieten in Transkarpatien. Es sind lokale Initiativen in den beiden Orten, die diese Projekte gestartet haben. Wir als CAMZ mit unserer Erfahrung und unseren vielen Kontakten im Ausland greifen diesen jungen Gruppierungen unter die Arme. Aber wir wollen natürlich, dass sie so schnell wie möglich unabhängig werden und den Kontakt mit ausländischen Geldgebern selber pflegen.
Die Anschubfinanzierung von NeSTU war hier sehr nützlich. Inzwischen hat sich die deutsche Sektion von Terre des Hommes längerfristig engagiert.
https://www.tdh.de/was-wir-tun/projekte/europa/ukraine/
 
Wir wollen keine Projektfabrik werden, immer mehr Mitarbeiterinnen einstellen und immer mehr Projekte leiten und verwalten. Besser, wir helfen jungen Initiativen dabei, Partnerorganisationen im Ausland zu finden, die sie direkt unterstützen. Wir helfen ihnen am Anfang in der Organisation und vor allem in der Kommunikation mit den internationalen Geldgebern, aber mit dem Ziel, dass sie in Zukunft völlig selbständig arbeiten können. Sie müssen lernen, zuverlässig Rechenschaft über die Verwendung der Gelder abzuliefern. Und sie müssen sich auf eine langfristige Organisationsform einstellen.
Eines Tages werden wir unser Land wieder aufbauen müssen, und dann brauchen wir unbedingt all diese lokalen, unabhängigen Initiativen.
 
Ausserdem verteilen wir Medikamente und Lebensmittel in den Frontregionen. Dafür arbeiten wir systematisch mit lokalen Organisationen. Wir haben im Osten der Ukraine keine eigenen Mitarbeiter.
 
 

JK: Wo und mit wem arbeitet ihr in diesen Gebieten?
 
NK: Diesen Monat haben wir in Zaporizhia gearbeitet, nächsten Monat liefern wir Hilfsgüter nach Cherson und Chernihiv. Anschliessend kommen Charkiw und Donetsk an die Reihe. In jeder Region haben wir eine oder mehrere Partnerorganisationen, denen wir die Verteilung anvertrauen. Für die Medikamente sind das auch die grossen Spitäler und zum Beispiel in Zaporizhia haben wir einen guten Kontakt zur städtischen Verwaltung, auch in Mykolajiw.
 
JK: Die Stadtverwaltung von Zaporizhia hat einen guten Ruf, sie hat auch viel Wohnraum für geflüchtete Familien zu Verfügung gestellt.
 
NK: Ja, unser Kontakt ist ausgezeichnet, die Stadtverwaltung hat dort auch fast von Anfang an Lebensmittel an Bedürftige verteilt. In Charkiw ist das anders, aber wir haben dort zumindest drei nichtstaatliche Organisationen, mit denen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten. So können wir es uns ersparen, eigene Leute vor Ort zu entsenden.
 
JK: Wo kommen die Lebensmittel her?
 
NK: Wir schicken den lokalen Organisationen Geld und sie kaufen die Lebensmittel vor Ort und verteilen sie. In den meisten Fällen wäre es sinnlos, Lebensmittel weit zu transportieren. Wir bekommen jeweils detaillierte Abrechnungen, auch über die Empfänger.
 
JK: Aus dem Ausland kommt nichts mehr?
 
NK: Aus dem Ausland kommen weiterhin bestimmte Medikamente, medizinisches Material und Ausrüstung, Trockenmilchpräparate, ab und zu bekommen wir ein paar Paletten hochwertiger Babynahrung aus Frankreich.
 
Wir sehen jetzt, dass die meisten Spitäler überfüllt und überfordert sind. In den meisten Spitälern werden nun schwerverletzte Soldaten und Zivilisten behandelt, aber sie sind eigentlich dafür nicht ausgerüstet, z.B. haben sie keine Beatmungsgeräte und andere Ausrüstung für Intensivstationen. Unser Freund Jacques Duplessy, ein Mitbegründer unserer Organisation, sammelt in Frankreich medizinische Ausrüstung in grossem Stil und schickt regelmässig volle Sattelschlepper hierher.
 
Und dann betreuen wir drei Flüchtlingsunterkünfte in der Region. Die grösste ist in Tyachiv, dort leben jetzt 63 Personen. Eigentlich könnten dort bis zu 90 Personen leben, und so war es am Anfang auch, aber jetzt sind einige Leute in private Wohnungen in die Stadt umgezogen und andere haben die Region verlassen. Das hat auch Vorteile, denn wir haben nun separate Zimmer für jede Familie, es gibt zwei Zimmer in denen die Kinder spielen können und einen Aufenthaltsraum zum Lesen oder Fernsehen für die Erwachsenen. Vor kurzem haben wir das Dach komplett renoviert und mit Solarzellen ausgestattet. Das Flüchtlingsheim in Nyzhne Selyshche bekommt auch Solarzellen, um es bei den nächsten Stromausfällen etwas autonomer zu machen.
 

Foto oben: Genia Melesh ist Juristin beim CAMZ. Aber wenn Rollstühle verschickt werden, hilft sie auch mal im Lager.

JK: Welche Menschen leben jetzt in diesen Flüchtlingsunterkünften?
 
NK: Dort leben die sozial schwächsten Teile der Bevölkerung, Menschen die nicht arbeiten können, die keine wohlhabenden Angehörigen haben, Menschen, die aus eigener Kraft nicht aus der Not kommen.
 
JK: Was bietet ihr diesen Leuten ausser der Unterkunft sonst noch?
 
NK: Zu unserem Team gehören eine Ärztin und eine Juristin, die die Personen in den Notunterkünften unterstützen. Unsere Ärztin Tanja berät die einheimischen Krankenschwestern und Ärzte, unsere Juristin Genia hilft den Geflüchteten, damit sie die ihnen zustehende Unterstützung vom Staat bekommen. Die alten Leute sind sehr benachteiligt. Mit der staatlichen Unterstützung können geflüchtete Pensionisten in Transkarpatien keine Wohnung mieten. Die Mieten waren hier immer schon vergleichsweise hoch, seit Kriegsbeginn sind sie zusätzlich stark angestiegen. Wir sehen schon jetzt, dass in den Flüchtlingsunterkünften bald nur mehr alte Leute leben werden. Auch wenn der Krieg irgendwann zu Ende geht – diese Menschen werden es nicht mehr erleben, dass die zerstörten Wohnungen in ihrer Heimat wieder aufgebaut werden. Leider denkt hier niemand daran, was das längerfristig für unsere Region bedeutet und dass wir dringend passenden Wohnraum für Menschen mit eingeschränkter Mobilität schaffen müssen, auch Altersheime mit der entsprechenden Betreuung.
 
JK: Wie sieht es mit der Betreuung von kriegstraumatisierten Menschen aus?
 
NK: Zunächst lief das alles ziemlich chaotisch. 2022 sprachen plötzlich alle von psychologischer Betreuung. Verschiedene lokale Organisationen haben ziemlich viel Unterstützung von internationalen Geldgebern dafür bekommen. Das war sehr in Mode, aber die lokalen Organisationen waren eigentlich für diese Arbeit nicht qualifiziert. Wir haben daher Ende 2022 Online-Koordinationstreffen zwischen den verschiedenen Organisationen initiiert, sie finden nun alle zwei Wochen statt. Mehrere dieser Initiativen können zum Beispiel nur leicht traumatisierten Menschen helfen. Wenn sie sehen, dass ein Patient unter einer schweren psychotischen Störung leidet, übergeben sie ihn an eine spezialisierte Institution. Es hat fast ein Jahr gedauert, aber jetzt funktioniert diese Zusammenarbeit sehr gut.
Erst vor kurzem hat Zelensky die psychologischen Betreuung von kriegstraumatisierten Menschen durch staatlichen Institutionen verordnet. Zum Glück ist bei uns in der Oblastverwaltung eine Frau für die Umsetzung zuständig, die wir seit vielen Jahren kennen. Jetzt haben wir damit begonnen, auch die staatlichen Strukturen in unsere Koordination mit einzubinden, also auch in die Schulen. Der nächste Schritt wird die Einrichtung spezialisierter Kliniken sein, daran arbeiten wir jetzt. Und schliesslich müssen wir auch an die Psychiatrie denken, aber dafür muss ich mich von allen anderen Projekten freimachen, um in Ruhe darüber nachzudenken.

Foto unten: Das Team des CAMZ beim Verschicken von Hilfsgütern 

JK: In unserer Region ist es problematisch, dass die Einheimischen sich nicht in die Lage der geflüchteten Menschen versetzen können. Sie haben nicht dieselben traumatisierenden Erfahrungen gemacht und vielen fehlt es an Empathie. Wie geht ihr damit um?
 
NK: Ja, das stimmt natürlich, daher haben wir geflüchtete Menschen angestellt. Unsere beiden Flüchtlingsheime in Uzhhorod und in Tyachiv werden von Kriegsflüchtlingen geleitet, in Tyachiv zum Beispiel von einem Ehepaar aus Svatove in Luhansk. Der Chef unseres Lagers für Hilfslieferungen ist auch ein Flüchtling, aus Charkiw. Sie sprechen dieselbe Sprache, und haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie können sich auch sehr direkte Sachen sagen, ohne dass jemand gleich beleidigt ist. Denn die Beziehung der Einheimischen zu den geflüchteten Menschen ist wirklich ein Problem.
 
JK: Hast Du den Eindruck, dass diese Probleme sich mit der Zeit noch verschärfen?
 
NK: Ja, zu einem gewissen Grad. Besonders kritisch sehe ich die Haltung der internationalen Organisationen. Die Einheimischen fühlen sich benachteiligt, wenn Hilfe einseitig nur an geflüchtete Menschen geht, und manchmal hat man den Eindruck, dass es diesen eigentlich gar nicht so schlecht geht. Das muss unbedingt vermieden werden. Unsere Programme der Kinderbetreuung zum Beispiel sind offen für Alle, auch wenn die Geldgeber ursprünglich wollten, dass wir Geflüchtete bevorzugen. Damit helfen wir den geflüchteten Kindern auch, aus dem Ghetto auszubrechen in dem sie sich befinden. Schon vor dem Krieg waren wegen Covid die meisten von ihnen lange Zeit im Online-Unterricht. Dann mussten sie flüchten und besuchen weiter online ihre Schule, zum Beispiel eine virtuelle Schule von Bachmut. Nachdem sie den Sommer zusammen mit einheimischen Kindern verbracht haben, motiviert sie das vielleicht, hier in eine ganz normale Schule zu gehen. Das ist sehr wichtig, denn es wird immer offensichtlicher, dass viele Familien hier bleiben, die Kinder sollten sich ins lokale Leben integrieren.
 
JK: Wieviele geflüchtete Personen leben jetzt in Transkarpatien?
 
NK: Die offizielle Statistik sagt, es seien 350‘000. Es gibt Schätzungen, die weit höher liegen, aber das scheint mir unrealistisch. Vermutlich sind es an die 400‘000 Menschen. (Vor dem Krieg lebten in Transkarpatien ca. 1‘1Mio Menschen).
 
JK: Wo sind diese Menschen? In Chust und vor allem in den umliegenden Dörfern habe ich nicht den Eindruck, dass die Bevölkerung stark zugenommen hat.
 
NK: In Uzhhorod sind sie nicht zu übersehen. Überall wird Russisch gesprochen und die Strassen sind voller Menschen und Autos. In den Dörfern gibt es halt auch die entgegengesetzte Bewegung. Über 50 Prozent der wehrtauglichen Männer sind im Ausland und nun ziehen auch die Familien nach. Im Kinderheim in Vilshany haben wir seit dem vergangenen Jahr 25 Mitarbeiterinnen verloren, beinahe ein Viertel. Ihre Männer, die im Ausland sind, setzen sie unter Druck, auch wenn sie nicht weg wollen.

JK: Während 19 Monaten Krieg habt Ihr mit zahlreichen ausländischen Organisationen zusammengearbeitet. Wie empfindest Du die Partnerschaft, ist der bürokratische Aufwand sehr gross?
 
NK: Wir arbeiten mit kleinen und mittelgrossen Organisationen, die relativ flexibel auf unsere Bedürfnisse eingehen, vor allem in Deutschland und in Frankreich. So können wir häufig auch spontan auf dringende Bedürfnisse reagieren. Zum Beispiel hat mich vor kurzem Nataliya Gumenyuk* angerufen, sie hat mir von einer Initiative aus Cherson erzählt. Sie haben im Gebiet des zerstörten Stausees von Nova Kachovka in einem Kindergarten eine Suppenküche eingerichtet, für die Menschen, die alles verloren haben. Es sind wunderbare, sehr engagierte Leute, aber sie haben kein Geld. Dank unserer Partner können wir hier sehr spontan aushelfen.
Aber leider gibt es auch eine negative Tendenz. Vor allem die staatlichen Geldgeber unterstützen nur mehr die ganz grossen, internationalen Organisationen, die in der Ukraine arbeiten, wie IOM oder das Uno-Flüchtlingswerk UNHCR. Diese bürokratischen Monster bekommen alle Mittel und die kleinen, effizienten Initiativen gehen leer aus. Wenn wir die Botschaften kontaktieren erhalten wir die Antwort, dass alle Gelder bereits an diese grossen Organisationen vergeben wurden, zum Beispiel haben wir kürzlich vom Französischen Aussenministerium eine derartige Antwort erhalten. Im vergangenen Jahr hatten wir von ihnen noch eine dreimonatige Unterstützung erhalten.
Ich sehe diese Entwicklung sehr kritisch. Nach einer gewissen Zeit werden sich die grossen Organisationen zurückziehen, und dann bleibt nichts übrig. Dabei werden wir genau dann, wenn irgendwann der Krieg zu Ende geht, die lokalen NGOs dringend benötigen, um das Land wieder aufzubauen. Seit Kriegsbeginn haben sich viele lokale Initiativen gebildet. Diese sollten unterstützt werden, damit sie arbeiten und Erfahrungen sammeln können. Diese jungen Initiativen sind für die Ukraine von morgen extrem wichtig.
Meine wichtigster Ruf an die internationale Gemeinschaft und die internationalen Geldgeber ist, dass sie die Ukraine nicht mit einem Land der Dritten Welt verwechseln sollen. Hier gibt es schon lange eine sehr lebendige Zivilgesellschaft. Wenn wir diese nicht unterstützen, dann beeinträchtigen wir massiv die Fähigkeit der Ukraine, nach dem Krieg aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen. Wenn es diese Kapazität der Selbstorganisation zu Kriegsbeginn nicht gegeben hätte, dann wäre es bei der Ankunft der grossen ausländischen Organisationen im Mai 2022 schon zu spät gewesen.
* Nataliya Gumenyuk ist vermutlich die international am meisten profilierte Journalistin der Ukraine, sie hat auch schon mehrere Bücher auf Deutsch publiziert. Seit Beginn des Kriegs dokumentiert sie systematisch die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Link zu diesem Projekt (english)
 

Kontakt zu NeSTU:

Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
Möchten Sie keine Mails von NeSTU mehr empfangen? Sie können sich hier abmelden:
unsubscribe from this list

Jürgen Kräftner
Rundbrief 8.10.2023

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Die Schulferien sind auch in der Ukraine zu Ende und eigentlich sollte überall wieder ein geordnetes Leben den Tagesablauf bestimmen. Die Tagesabläufe vieler Kinder und ihrer Eltern in der Ukraine sind aber seit mehr als 18 Monaten von Bomben und Raketen, von Luftschutzalarm und Flucht bestimmt. Sicherheit, Bildung und vieles mehr erscheinen wie ein fast unerreichbar scheinender Luxus. Wir sind Allen überaus dankbar, die nicht wegsehen.

Veranstaltungshinweise
Die Hudaki Village Band kommt zum Abschluss einer intensiven Sommertournee nochmals in die Schweiz:
Fr 15.9. Sentitreff Luzern, 20.00
Sa 16.9. Sternenkeller Rüti ZH, 20.30
So 17.9. Kirche Gelterkinden BL, 18.00

Street-Ballads Ukraine in Zürich am 18., 25. und 28.9. Eine Performance auf Grundlage von Texten von neun ukrainischen Schriftsteller.innen. Sehr empfehlenswert!

Die Tournee des Kammerchores CANTUS vom 22.10 - 5.11. Der Tourneeplan und weiterführende Information sind hier zu finden. Bitte helfen Sie dem Team von NeSTU rund um CANTUS indem Sie den Flyer weiterleiten. Gedruckte Flyer hat unsere Präsidentin und Koordinatorin der Tournee Ursula Stamm: ursula.stamm@gmx.ch

Vom 28.10. - 28.11. in Basel: Ausstellung des Projekts "Vidkrytky", Das Versteck der Erinnerungen, im  Freiwerk Basel Elsässerstrasse 215. Ein Bericht über den Einsatz von Nastya Malkyna und Genia Koroletov in Kramatorsk ist hier zu finden (pdf). Es werden auch die Postkarten ukrainischer Flüchtlingskinder gezeigt, die jetzt in St. Imier NE leben. Die Betreuung dieser Kinder wird von NeSTU mitgetragen. Die Ausstellung wird Anlass für weitere Veranstaltungen und Begegnungen sein, mehr dazu im nächsten Rundbrief. Die Eröffnung findet am 28.10. um 18 Uhr statt, es wird dann auch das ganze Team aus der Ukraine dabei sein. Eine kleine Präsentation des Projekts am Ende dieses Rundbriefs.

Krieg - was wir tun
Weiter dreht sich auch in diesem Rundbrief alles um den Krieg in der Ukraine. Wir sind sehr dankbar für die grosszügigen Spenden, die wir nach dem Versand unseres Flyers im Juli erhalten haben. Wir konzentrieren unsere Kräfte auf die Betreuung von Kindern und Jugendlichen aus den Kriegsgebieten. Wir reagieren aber auch weiterhin unbürokratisch auf Hilfeaufrufe vertrauenswürdiger Partner: Base_UA konnte mit Hilfe von NeSTU im August eine Familie aus Bachmut in die Zentralukraine in ihr neues Zuhause umsiedeln.

Das fast drei Monate andauernde, von NeSTU finanzierte Sommerprogramm unserer Partnerorganisation Shaslyviy Dity (Glückliche Kinder) für geflüchtete Kinder in Uzhhorod ist zu Ende. Auf der Facebook-Seite der Organisation gibt es viele erfreuliche Fotos und Videos davon zu sehen.

Vom 23. September bis zum 5. Oktober kommen wieder 18 Teenager aus den ukrainischen Frontregionen für ein Art-Camp "Horytsvyt" ins Jugendgästehaus SargoRigo in Nyzhne Selyshche. Es ist ein gemeinsames Projekt mit den Leuten von Base_UA. Das Camp wird diesmal beinahe vollständig aus der Kasse von NeSTU finanziert, ein kleiner Beitrag stammt aus Spenden, die die Hudaki Village Band während ihrer Tournee gesammelt hat. Es ist sehr berührend und motivierend, die Rückmeldungen der Kinder und ihrer Eltern nach den Camps zu lesen. Ohne Übertreibung hilft der relativ kurze Aufenthalt in einer friedlichen, freundschaftlichen und aufmerksamen Umgebung den 12 - 15jährigen Jugendlichen ganz ungeheim. Diese Art-Camps wollen wir zumindest alle zwei Monate, nach Möglichkeiten auch im Monatsrythmus durchführen.

Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, Longo mai und NeSTU, Nyzhne Selyshche, Ukraine
 

Diesen Flyer (bitte anklicken) haben wir schon in unserem letzten Rundbrief veröffentlicht. Herzlichen Dank für jede Unterstützung und für's Weiterleiten!


Eine neue Heimat für eine junge Familie aus Bachmut

Das sind Maryna, 24, Andrij, 28, und ihre Kinder Nikita, 5 und Maya, 2, vor ihrem neuen Haus in der Oblast Kyiv.
Ein Jahr vor der Katastrophe kauften sie ein Haus in Bachmut und zogen dort ein, zuvor hatten sie noch bei den Eltern gelebt. Im Mai 2022 schlug in der Nähe ihres Hauses eine russische Rakete ein. Maryna und Andrij hatten Angst um ihre Kinder und verliessen das Haus sofort, sie nahmen nur eine Tasche mit. Etwa einen Monat später erfuhren sie von ihren Eltern, dass auch ihr Haus von einer Rakete getroffen worden war. Später schlugen noch mehr Bomben ein und das Haus wurde bis auf die Grundmauern zerstört.
Die Eltern wollten ihr Haus nicht verlassen. Beim Eintreffen der russischen Armee wurden sie von Wagner-Einheiten verschleppt, ihr Verbleib ist ungewiss.
Der Umzug wurde von unseren Partnern von Base_UA organisiert. NeSTU hat den Hauskauf mit 5'000.- Franken kurzfristig ermöglicht. Unterhalb noch ein paar Fotos von der Familie und ein Bild von ihrem zerstörten Haus in Bachmut, nach dem ersten Einschlag.


Die russische Bevölkerung und der Krieg
Das Institut für Konfliktanalyse und -forschung in Russland (IKAR) ist ein unabhängiges Analysezentrum in Kyiv, das die wichtigsten Trends und Prozesse in der russischen Gesellschaft untersucht. Es mag überraschen, dass ein ukrainisches soziologisches Forschungsinstitut mitten im Krieg telefonisch Russen und Russinnen befragt. Andererseits, wer versteht dieses Volk besser als die Ukrainer? Fast alle Ukrainer.innen verstehen Russisch oder es ist sogar ihre Muttersprache, und während Jahrhunderten haben sie im selben Staat gelebt. Die befragten Personen wissen dabei nicht, dass der Anruf aus der Ukraine kommt.

Ich fand die Resultate einer vor kurzem von IKAR veröffentlichten Untersuchung so überraschend und interessant, dass ich sie Euch nicht vorenthalten möchte und hier kurz zusammenfasse:

Der Grossteil der Russen glaubt, dass sie den Krieg genauso überstehen werden, wie sie den Covid überstanden haben. Im Gegensatz zu den Einschätzungen vieler westlicher Experten befürwortet 74% der Befragten einen vollständigen Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet. Gleichzeitig fühlen sie sich nicht für den Terror verantwortlich, den die russische Armee in der Ukraine verübt hat und weiter verübt, und sie sind auch nicht der Meinung, dass Russland Reparationen zahlen sollte. Russland wäre nur für die besetzten Gebiete verantwortlich.
Ebenfalls 74% lehnen eine neue Zwangsrekrutierung von Soldaten ab. Diese wird besonders von der jungen Generation sehr gefürchtet.
Einerseits sagt die Mehrheit, dass die Kriegsziele nicht erreicht wurden. Andererseits sagen sie, dass sie den Sinn des Krieges nicht verstehen können, sie verstehen nicht, warum ihre Angehörigen sterben. Diffus meinen viele im Gespräch, der Krieg werde gegen ukrainische Nazis geführt, wobei die ukrainische Bevölkerung nichts damit zu tun habe. Eine Mehrheit ist der Meinung, dass Russland in der Ukraine in eine Falle der USA getappt sei.

Vor allem der Wunsch nach einem vollständigen Rückzug der russischen Verbände aus der Ukraine steht im Widerspruch zur häufig verbreiteten These, dass ein Rückzug der russischen Armee aus dem Donbas und von der Krim das Ende der Herrschaft Wladimir Putins bedeuten würde. Und ausserdem, wie zum Beispiel der Schweizer Spitzendiplomat Thomas Greminger kürzlich in der NZZ sagte, zu einem gefährlichen Revanchismus in der russischen Bevölkerung führen würde. Nein, was zählt, sind der Fernseher und der Kühlschrank.

Auf die Frage (zitiert aus einem populären Film aus dem Russland der 1990er Jahre), wer Recht habe, meinen mehr als 60%, dass der Stärkere immer Recht hat, Gesetze sind nebensächlich.

Ebenfalls erschreckend: Nur etwa 15% der Befragten sprachen sich kategorisch gegen eine weitere "militärische Sonderoperation" wie in der Ukraine aus, sei sie gegen Kasachstan, einen der baltischen Staaten, Georgien, Polen oder ein anderes Nachbarland. 
NB das Interview mit Thomas Greminger in der NZZ ist im  Text verlinkt, aber der Autor ist mit den Aussagen Gremingers durchaus nicht einverstanden. Ganz allgemein herrscht in der Ukraine die Meinung vor, dass sich die OSZE ohne Gegenwehr von Russland instrumentalisieren lassen hat.
 

Varenyky am Ukraine-Treff in Stans
Kari Grunder, Stans
Am 2. August haben wir am Ukraine-Treff in Stans bereits zum zweiten Mal gemeinsam Varenyky, die beliebten ukrainischen Teigtaschen, zubereitet. Während am Büchertisch Werke auf Ukrainisch und auf Deutsch studiert, ausgeliehen und zurückgegeben wurden, begannen uns aus der Küche anregende Düfte auf das gemeinsame Essen einzustimmen. Als «zweites Dessert» trugen Mykola und Ljubov von Mykola verfasste Gedichte vor (aus: Dschmil, Mykola: Kolo / Джмiль, Микола: Коло).
Auf dem Bild die literarisch-kulinarische Crew mit Arina, Maryna, Natalija, Béatrice, Kari, Mykola, Ljubov, Damir, Sergej (aufgenommen von Severin).
 

Das Versteck der Erinnerungen*
Ausstellung des Projekts "Vidkrytky"
Von Nailya Ibragimova, Nastya Malkina und Genia Koroletov

 
Wir möchten Sie zur Ausstellung des Projekts "Vidkrytky" einladen, das gemeinsam mit Kindern, die vom Krieg Russlands gegen die Ukraine betroffen sind, Postkarten gestaltet.
 
Die Postkarten sind den Lieblingsorten der Kinder in ihren Heimatstädten gewidmet, von denen die meisten aufgrund des Krieges nicht mehr zugänglich sind.
Das Ziel des Projekts ist es jedoch nicht, sich auf das zu konzentrieren, was verloren gegangen ist, sondern ein einzigartiges Archiv von Bildern friedlicher ukrainischer Städte zu schaffen, und einen Raum für Fantasie und Kreativität im Kontext eines militärischen Konflikts zu schaffen.
 
Bei der Konzeption der Ausstellung haben die Künstler und Initiatoren des Projekts versucht, ihre persönlichen Erinnerungen an ihre Kindheit in den Jahren 1900-2000 mit Kindergeschichten zu verbinden. Sie bieten allen Besuchern an, nicht nur die Bedrohung zu spüren, die von der Unachtsamkeit der Kinder ausgeht, sondern auch die universellen Werkzeuge, um sie zu schützen und ihr entgegenzuwirken.
Die Ausstellung bietet auch ausführliche Informationen über das Projekt, eine Sammlung von Kinderpostkarten mit der Möglichkeit, sie zu kaufen und das Projekt zu unterstützen, sowie die Möglichkeit, eine eigene Postkarte zu gestalten und sie an ukrainische Kinder zu schicken.
 
* Vidkrytky" ist ein Kunstwort, eine Mischung aus Ukrainisch und Russisch, das die Wörter "Öffnung" und "Postkarten" enthält.

Wann
Eröffnung der Ausstellung, 28. Oktober, 18 Uhr
Dauer, 28.10-28.11.2023
Öffnungszeiten
Mittwoch - Freitag: 14-20h
Samstag: 10-20h
Sonntag: 10-18 Uhr
 
Wo
Verein Freiwerk, Basel
https://freiwerk-basel.ch
Elsässerstrasse 215 | 4056
 
Kontakt
E-Mail: vidkrytky@immerda.ch

* mit den Namen Versteck der Erinnerungen wollen die Initiator.innen ein Bild hervorrufen: Die Lieblingsorte der malenden Kinder sind gefährdet, und damit auch die Erinnerungen. Sie brauchen Schutz und Geborgenheit und sie denken dabei bildlich an Asthütten und Verstecke im Wald oder im Park, die sich Kinder gemeinsam einrichten.
PS: Das Projekt umfasst einen Postkarten-Workshop mit Kindern aus der Ukraine, die jetzt in Saint Imier leben. Die künstlerischen Aktivitäten dieser Kinder werden seit mehreren Monaten von NeSTU unterstützt.
 


Maksym Butkevych
Von unserem langjährigen Freund, dem ukrainischen Menschenrechtsaktivisten haben wir schon öfters berichtet. Im März diesen Jahres wurde er in einer Justizfarce in Luhansk von einem russischen Gericht zu einer 13jährigen Haftstrafe verurteilt. Er habe Anfang Juni 2022 mit einem Minenwerfer auf ein Wohnhaus in Severodonetsk geschossen und zwei Frauen verletzt. Die Tatsache, dass er sich und seine Einheit zum angegebenen Zeitpunkt gar nicht in der Ostukraine befand sondern in der Nähe von Kyiv, spielte dabei keine Rolle. Der einzige Beweis war das gefilmte Geständnis Maksyms, offenbar unter Druck oder gar unter Folter entstanden. Am 22. August behandelte ein Berufungsgericht in Moskau den Einspruch seines Anwalts. Maksym war per Videoschaltung aus dem Gefängnis in Luhansk dabei.

Das Gericht änderte nichts am Urteil, was niemand weiter überraschte, bloss wurden ihm sieben Monate angerechnet, die zwischen dem Beginn der Strafuntersuchungen und dem Urteil vergangen waren.

Erfreulicher war, dass Maksym trotz der schlechten Haftbedingungen seinen Humor wieder gefunden hat und auch einen verhaltenen Optimismus ausstrahlte. Während das Gericht in einem Nebenzimmer tagte, konnten einige anwesende russische Menschenrechtler und sein Anwalt sich relativ ungestört mit Maksym unterhalten (dabei entstand das Foto oben). So erfuhr er, dass sein Name an der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises zu vernehmen war und dass sich sehr viele Menschen für sein Schicksal interessieren. Im Gefängnis ist er völlig von der Aussenwelt abgeschnitten. Es gibt nur russisches Fernsehen. Auch Bücher und Papier gibt es nicht, Briefe und Pakete werden nicht ausgehändigt. Maksym gibt seinen Mitgefangenen Englischunterricht ohne jegliche Hilfsmittel, von sich selber berichtet er, dass er seine Französischkenntnisse aus dem Gedächtnis auffrischt.

Das Urteil des Berufungsgerichts war eine dringend erwartete Bedingung für einen eventuellen Gefangenenaustausch Maksyms. So verlieren wir die Hoffnung nicht, ihn bald in Freiheit zu sehen. Wir wissen aber auch, dass es tausende Kriegsgefangene gibt, und viele von ihnen schmachten mindestens so lange wie Maksym in den russischen Lagern. In den vergangenen Wochen gab es eher weniger Austausche als zuvor.

Kontakt zu NeSTU:

Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
Möchten Sie keine Mails von NeSTU mehr empfangen? Sie können sich hier abmelden:
unsubscribe from this list


Jürgen Kräftner
Rundbrief 23.07.2023

Link zum Rundbief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Seit 515 Tagen terrorisiert die russische Armee die Ukraine. Wir wollen es den vielen Ukrainern und Ukrainerinnen gleichtun, die sich auch von schlimmsten Schicksalsschlägen nicht entmutigen lassen: Unsere Kräfte sammeln, zu unseren langjährigen und neuen Verbündeten stehen und ihre wertvollen Initiativen unterstützen und begleiten. Gemeinsam haben wir langjährige Erfahrung in der Betreuung von Randgruppen in der Ukraine.

Kindern und Jugendlichen helfen, die Wunden des Krieges zu überwinden

  • In Koordination mit unseren Partnerinnen vom CAMZ in Uzhhorod unterstützen wir ein Sommerlager für 60 Flüchtlingskinder, das bereits im Juni begonnen hat.

  • Unser Jugendgästehaus in Nyzhne Selyshche hat im Juni ein erstes Art-Camp "Gorysvit" für Jugendliche aus den Kriegsgebieten empfangen, das nächste Camp ist für Anfang September geplant. Auf der Website von NeSTU finden Sie ein Interview über die Besonderheit dieser Art-Camps, die Fotos geben einen Eindruck von der tollen Stimmung.

  • Nastya Malkina und Genia Koroletov, zwei junge Kunstpädagogen aus Luhansk leben seit Kriegsbeginn in Nyzhne Selyshche. Sie arbeiten weiter mit Kindern und Jugendlichen in Kramatorsk, Lwiw und im Ausland und helfen ihnen, kreativ ihre Kriegstraumata zu verarbeiten. Hier ist der illustrierte Bericht von ihrer Reise nach Kramatorsk (Donetsk) vom vergangenen Juni.

  • In der Schweiz unterstützen wir eine Kreativwerkstatt für geflüchtete Kinder aus der Ukraine in St. Imier, initiiert von einer Flüchtlingsfrau aus der Ostukraine voller Tatendrang.

Andere Projekte gehen weiter:

  • In Stans NW stösst eine ukrainische Bibliothek mit Büchern für Kinder und Erwachsene auf reges Interesse. Geöffnet ist sie jeweils am Mittwoch von 8:30 bis 11:00 am Acherweg 86. Kontakt: Kari Grunder, 079 311 35 43

  • Der Kammerchor Cantus gibt vom 22.10. - 5.11. insgesamt 13 Konzerte in der Schweiz. Die Tournee findet unter dem Titel Klang des Himmels, Stimmen der Erde statt. Wir zweifeln nicht daran, dass die Stimmen des Chores himmlisch klingen werden.

  • Die Hudaki Village Band bereist derzeit den gesamten europäischen Kontinent, von Finnland nach Spanien, von Rumänien bis in die Bretagne. Im August und September kommt sie für einige Konzerte in der Schweiz:

Di 15.8. (Himmelfahrt) in der Kirche Hildisrieden LU, 20:00

Fr 15.9. Sentitreff Luzern, 20:00

Sa 16.9. Sternenkeller Rüti ZH, 20:30

So 17.9. Kirche Gelterkinden BL 17:00

  • Eine Buchempfehlung: Wie der Krieg uns verändert. Von Olha Volynska, erscheint im September 2023 im Klingenberg Verlag, Wien.

  • Eine Videoempfehlung: Ein Bericht aus der Frontstadt Sviatohirsk in der Oblast Donetsk, die 2022 vorübergehend von der russischen Armee besetzt war. Kürzlich haben Freiwillige von Base_UA hier ein Jugendlager organisiert, hier ist der Videobericht mit englischen Untertiteln.

Redaktion dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, Nyzhne Selyshche, Ukraine

Dies ist unser neuer Infoflyer mit dem aktuellen Spendenaufruf, Gestaltung von Nastya Malkina und Genia Koroletov. Um Spenden effizient und nachhaltig einzusetzen, unterstützt NeSTU jetzt prioritär die Rehabilitierung von Kindern und Jugendlichen aus den ukrainischen Kriegsgebieten. Bitte helfen Sie uns, kriegsgezeichneten jungen Menschen wieder Hoffnung und Mut mitzugeben. Herzlichen Dank! Die Geschäftsstelle von NeSTU schickt Ihnen auf Wunsch gedruckte Flyer.
Spendenkonto NeSTU:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2


Die physische Vernichtung einer Generation der Ukraine
Wenn ich mich nicht irre, ist es die ukrainische, in Wien lebende Schriftstellerin Tanja Maljartschuk die sich kürzlich etwa so geäussert hat: Die westliche Öffentlichkeit lernt beim Verfolgen der Nekrologen aus der Ukraine seit Februar 2022 mehr über die zeitgenössische ukrainische Literatur, als sie während drei Jahrzehnten der ukrainischen Unabhängigkeit von ihr mitbekommen hatte. Anfang dieses Monats hat uns und viele andere der Tod der jungen Schriftstellerin Victoria Amelina erschüttert. Wir kannten sie nicht persönlich, aber wir hatten viele gemeinsame Freunde. Ihre Initiative, ein Literaturfestival in einem Dorf im Donbas (mit dem witzigen Namen "New York") ins Leben zu rufen, machte uns klar, dass wir eine Verbündete verloren hatten, bevor wir uns überhaupt kennengelernt hatten. Victoria hinterlässt einen zehnjährigen Sohn.
Daher haben wir uns die Zeit genommen, einen ihrer letzten Texte, der Anfang des Monats im Guardian erschienen ist, auf Deutsch übersetzen, hier ist er als PDF zu finden. Es lohnt sich, diesen tiefgründigen Essai zu lesen, wenn man diese Generation weltoffener Ukrainer und Ukrainerinnen besser verstehen will.

Victoria Amelina war 37 Jahre alt und war eine überaus engagierte und mutige Person. Einige ihrer Texte wurden bereits auf Deutsch veröffentlicht, siehe Wikipedia.
Nach Kramatorsk war sie gereist, weil sie zwei kolumbianischen Schriftstellern die Realität der frontnahen Gebiete vermitteln wollte. Die südamerikanische Meinungsmacher tun sich ja nach wie vor schwer damit, zu akzeptieren, dass nicht alles Böse auf der Welt aus den USA stammt. 
Als sie es sich in einem der wenigen geöffneten Lokale, einer Pizzeria im Stadtzentrum gemütlich gemacht hatten, wurde diese von einer russischen Iskander-Rakete getroffen. Bei den anderen Toten (insgesamt 12) handelte es sich hauptsächlich um junge Angestellte der Bar und zwei 14-jährige Zwillingsmädchen, die ihre Mutter für zwei Tage besucht hatten. Hector Abad, einer der Schriftsteller, die mit Victoria gemeinsam in Kramatorsk waren, beschrieb in einem kurzen Essay die tödliche Absurdität dieses Aktes. Hier ist er (PDF).

Maksym Butkevych,
ukrainischer Menschenrechtsaktivist und unser langjähriger Freund, hat am 16. Juli zum zweiten Mal in Folge seinen Geburtstag in russischer Gefangenschaft verbracht. Die ukrainische Künstlerin Alevtina Kakhidze hat ihm an diesem Tag diese Zeichnung gewidmet, sie schreibt: "Russen, gebt meinen Freund Max Butkevych zurück, ich bitte euch in allen Sprachen».
Das Online-Medium UkraineWorld veröffentlichte auf Twitter eine kurze Video über Maksym.
 


Gorysvit - kreative Jugendlager für Teenager aus den ukrainischen Kriegsgebieten
Das Interview mit Nastya Malkina und Genia Koroletov nach dem ersten Lager im Juni gibt einen guten Eindruck von der Arbeit der Leute von Base_UA. Wir haben uns wunderbar mit den Betreuer.innen verstanden und hoffen, dass wir bald gemeinsam weitere Camps durchführen können. Der Bedarf und die Nachfrage sind riesig. NeSTU unterstützt diese Initiative: Wir decken die Kosten von Unterkunft, Verpflegung und die Anreise der Teilnehmer.innen. Die Kinder werden von den Eltern gebracht und abgeholt. Der Rest der Kosten, vor allem die Honorare für das Betreuerinnenteam wird von Base_UA gedeckt. Für Anfang September planen wir gemeinsam das nächste Camp.
Die Fotos unten stammen von einer der Betreuerinnen, Mariya Surzhenko, eine junge Lehrerin aus Lwiw. 


Kammerchor Cantus - Konzerttournee im Herbst 2023
Weltliche Lieder und geistliche Klänge aus einem versehrten Land, unter diesem Titel stehen die diesjährigen Konzerte von Cantus in der Schweiz. Am 29. Juni hat CANTUS seine 31. Konzertsaison abgeschlossen, im Konzert wurden einige für die 13. Schweizer Konzerttournee (22. Oktober - 5. November 2023) vorgesehene Werke aufgeführt. Im Tourneeprogramm «Klang des Himmels, Stimmen der Erde» verbindet sich Trauer über die Schrecken des Krieges mit der Hoffnung auf Frieden und neues Leben. Geistliche Musik und weltliche Kompositionen aus der Ukraine werden zu einem Reigen von bewegender Stimmkultur verknüpft. Auf dem Flyer (das Bild unten anklicken) finden Sie alle Konzertorte und -daten, wir freuen uns auf Ihren Besuch! .

Vom 20. - 22. Oktober findet der bereits traditionelle Gesangsworkshop mit Emil Sokach und dem gesamten Chor in Melchtal, OW statt. Es gibt noch wenige freie Plätze!
Hier sind die Ausschreibung und das Anmeldeformular.

Kontakt zu NeSTU:
Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans
E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
Möchten Sie keine Mails von NeSTU mehr empfangen? Sie können sich hier abmelden:
unsubscribe from this list

Jürgen Kräftner
Rundbrief 22.05.2023

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

15 Monate Krieg in der Ukraine und kein Ende in Sicht

Wir haben uns eine Weile lang nicht gemeldet. Der Frühling ist voll da. Ich vermeide es, andauernd an die Situation an der Front zu denken und habe den Eindruck, dass das viele Menschen so tun, selbst diejenigen, deren Angehörige im Krieg sind. Immer wieder trifft man auf die Begräbniskonvois der gefallenen Soldaten, auch in Transkarpatien. In Filmberichten sieht man die Männer, die seit Monaten im Gebiet Bachmut und weiter südlich bei Donetsk dem täglichen Horror ausgesetzt sind. Ihre Augen sind müde, manchmal sieht man ihnen das tiefe Trauma an, das sie erlitten haben - und so warten sie sehnsüchtig auf die Ablösung, wann kommt die denn endlich?
Freunde aus Kyiv haben von den kolossalen Raketenangriffen berichtet, die in den vergangenen zwei Wochen über die Stadt hereingebrochen sind. Anders als noch im vergangenen Jahr fühlen sich die meisten Menschen dank der neuen, westlichen Raketenabwehr nun sicher. Sie stehen am Balkon und bejubeln die Abschüsse der russischen Raketen und Drohnen, fast wie ein Feuerwerk. Leider sind längst nicht alle Städte so gut geschützt und weiterhin sterben Zivilisten. In der westukrainischen Stadt Ternopil wurde ein Lager des Schweizer Hilfswerks Licht im Osten getroffen, während das von dort abstammende Popduo Tvorchy am Songcontest in Liverpool auftrat. Ja, absurd.

In diesem Rundbrief gibt es wieder eine ganze Reihe von Ankündigungen. Darüber hinaus liefern wir Euch etwas Hintergrundinformation: Der Kampf um eine freie und lebenswerte Ukraine geht sowohl an der Front als auch weit entfernt von ihr weiter. Ukrainische Blogger sagen halb scherzhaft, dass sie gegen Korruptionsbekämpfung in Russland sind, da die dortige Korruption einen grossen Anteil an der Schwäche der russischen Armee hat. Aber wie sieht es in der Ukraine aus?
Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU und Longo mai, Ukraine


NeSTU widmet sich ab sofort prioritär der Jugendarbeit
Nach dem Schock der ersten Kriegsmonate und der damit verbundenen riesigen Solidarität aus unserem Freundeskreis hat der Vereinsvorstand von NeSTU dieses Jahr beschlossen, unsere Kräfte und Mittel für die kommenden Monate gezielter einzusetzen.
Es gibt kaum Jugendliche in der Ukraine, die nicht in irgendeiner Form Kriegstraumata erlitten haben. Unser Netzwerk in der Ukraine hat langjährige Erfahrung in der Betreuung von Jugendlichen, auch aus dem Kriegsgebiet. Dieser Krieg hat ja bereits 2014 begonnen. Das CAMZ in Uzhhorod hat viel Erfahrung und kennt zahlreiche Fachleute in der Behandlung von psychischen Traumata. Und wir haben in Nischnje Selischtsche mit dem Jugendgästehaus Sargorigo eine wunderbare Infrastruktur in einem friedlichen Gebiet, das sich ideal für Jugendlager anbietet. Am Mittwoch, 24. Mai beginnt hier ein erstes, gemeinsam von den Freiwilligen von Base_UA und den Einheimischen von Molotok und Longo mai organisiertes "Art-Camp", das 25 Jugendlichen, die vom Krieg direkt betroffen waren, viele positive Emotionen und Erfahrungen bieten wird.
In unserem nächsten Rundbrief werden wir Eindrücke von diesem Jugendlager liefen.
Bereits jetzt unterstützt NeSTU die Initiative "Glückliche Kinder" in Uzhhorod. 40 Kindern im Volksschulalter wird während den drei Sommermonaten geholfen, den versäumten Schulunterricht nachzuholen und ihre kreative Entwicklung zu fördern. Gleichzeitig wird die Sozialisierung und Integration dieser Binnenflüchtlingskinder an ihrem neuen Wohnort gefördert.

Daher wieder unser Aufruf:
Ohne Eure Unterstützung können wir nicht helfen. Herzlichen Dank Allen, die uns finanziell unterstützen! Die Kontonummer von NeSTU ist am Ende des Rundbriefs zu finden. Die verfügbaren Mittel werden in erster Linie für Jugendprojekte in der Ukraine eingesetzt, sowie für dringende und unbürokratische Hilfe wie zum Beispiel kürzlich bei der Umsiedlung von drei Familien aus Siversk (bei Bachmut), insgesamt 14 Personen, davon 6 Kinder und einem behinderter Mann, in Region von Uman in der Zentralukraine.

Hudaki Village Band, Konzerte in der Schweiz und freie Daten
Unsere Dorfmusikanten und -musikantinnen kommen im August und im September in die Schweiz und sind auch noch zu buchen:
Di 15. August Kirche Hildisrieden LU
die Tage danach sind noch frei

Sa 16. September Sternenkeller Rüti ZH
So 17. September Kirche Gelterkinden BL
Die Tage davor und eventuell danach sind ebenfalls frei.

Im April hat das Ukrainische Fernsehen einen Dokumentarfilm über Hudaki veröffentlicht, hier mit englischen Untertiteln zu sehen.
Weitere Daten und Infos unter www.hudakivillageband.com

Jürgen Kräftner
Rundbrief 16.04.2023

Link zum Rundrief

Христос воскрес
Heute wird in der Ukraine Ostern gefeiert. Das zweite Mal ist dieses grösste Fest der orthodoxen Christen von den Grauen des Krieges überschattet. Im vergangenen Jahr hatten wir den Text von Maksym Butkevych Ostern und Kalaschnikow veröffentlicht, hier ist der Link. Zwei Monate später geriet er in russische Kriegsgefangenschaft.

Kürzlich konnte endlich ein russischer Anwalt Maksym besuchen und hat den Eltern einen Brief übermittelt. Darin schriebt Maksym, dass er nach seiner absurden Verurteilung in ein normales Gefängnis verlegt wurde und dass dort die Nahrung besser sei. Er ist offenbar bei gutem Mut und spricht auch den Angehörigen und Freunden Mut zu. Er bedankt sich bei Allen, die sich für seine Freilassung einsetzen und schreibt, wir sollten dazu sehen "uns nicht zu verlieren" und weiterhin gut zusammenzuhalten.
Ein gutes Motto für diesen Ostersonntag.

NeSTU unterstützt weiterhin lokale Initiativen in der Ostukraine, wie die Angels of Salvation. Kürzlich haben wir eine Nachricht von Dmytro Mishenyn erhalten. Er hat uns wieder eine Video von den Hilfseinsätzen der Freiwilligen geschickt und erklärt, warum unsere Unterstützung für die Angels so besonders wertvoll ist. Seine Organisation wird von mehreren internationalen Hilfswerken unterstützt, häufig auch mit umfangreichen Materialspenden. Aber niemand will zum Beispiel den Unterhalt der Fahrzeuge finanzieren. Diese sind enormen Ansprüchen ausgesetzt und müssen häufig repariert werden. Zuletzt haben sie mit unserer Unterstützung auch eine Lagerhalle eingerichtet, was ihnen die Arbeit sehr erleichtert und Zeit und Geld einspart. NeSTU überweist die Summen von jeweils 10'000€ nach Dnipro und überlässt den Angels die freie Wahl, denn sie wissen selber, was sie gerade am dringendsten benötigen. Nach einigen Wochen erhalten wir jeweils eine detaillierte Abrechnung.
Herzlichen Dank Allen, die uns finanziell unterstützen! Die Kontonummer von NeSTU ist am Ende des Rundbriefs zu finden. Alle Spenden kommen der Nothilfe in der Ukraine zugute.
 

Gespräche und Lesungen mit Serhij Zhadan in der Schweiz
Serhij Zhadan ist einer der bekanntesten und aktivsten Schriftsteller - und Rockmusiker - der Ukraine. Er stammt aus Luhansk und lebt seit Jahren in Charkiw. Auch während des Kriegs tritt er sowohl in der Ukraine als auch im Ausland auf und sammelt gleichzeitig zur Unterstützung der Territorialverteidung. In den kommenden Tagen kommt er in die Schweiz, wir empfehlen die Veranstaltungen sehr: 

18.4. Literaturhaus Basel 19.00
19.4. Schauspielhaus Zürich 19.30
20.4. Lukaskirche Luzern 19.00
21.4. Aargauer Literaturhaus Lenzburg 19.15


Cherson im Winter, Fotos von Oleksandr Glyadyelov
Unser Freund Oleksandr Glyadyelov war im Winter im kurz zuvor befreiten Gebiet Cherson, am rechten Ufer des Dnipro. Seinen eindrücklichen Fotobericht haben wir hier exklusiv aufgeschaltet.

Unterstützung für die Schneiderinnen in Chust
Unsere Jahresversammlung vom 25. März in Luzern war in vieler Hinsicht ein sehr gelungener Anlass. Spontan haben sich die zahlreichen Anwesenden auch an einer Sammelaktion zugunsten eines Schneiderateliers in Chust beteiligt. Dort schneidern ein gutes Dutzend Freiwillige, Einheimische und vor allem geflüchtete Menschen aus der Ostukraine verschiedene nützliche Dinge für die Territorialverteidigung und für Notleidende im Frontgebiet: Warme Unterwäsche, Schlafsäcke etc. Zum Schneiden von kilometerlangen Stoffbahnen benötigten sie dringend einen halbautomatischen Schneidetisch. Dank unserer Hilfe konnte dieser bereits in Betrieb genommen werden, hier ist die kleine Video. Lesja, unsere Kollegin, ist begeistert, herzlichen Dank allen Beteiligten!
 


Herzliche Begegnungen mit Geflüchteten aus der Ukraine und Freunden in der Schweiz
Die fünf Konzerte der Hudaki Village Band, Ende März in der Schweiz waren diesmal hochemotionale Erlebnisse, wie die Fotos unten, aus der Schützi in Olten bezeugen.
Besonderer Dank gebührt dem Oltener Ukraine-Komitee, koordiniert von Beate Hasspacher und Ruedi Iseli, und dem Fotografen André Albrecht! Aber auch an weiteren Anlässen, wie zum Beispiel im randvollen Haberhaus in Schaffhausen haben unsere Freunde beste Arbeit geleistet, auch ihnen - Vielen Dank!

Kontakt zu NeSTU:
Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6,
6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43

Spendenkonto NeSTU:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
Möchten Sie keine Mails von NeSTU mehr empfangen? Sie können sich hier abmelden:
unsubscribe from this list

Jürgen Kräftner
Rundbrief 13.03.2023

Link um Rundbrief

Russische Justizwillkür gegen den ukrainischen Menschenrechtsaktivisten und Freund von NeSTU Maksym Butkevych

Konzerte und Ukraineanlässe in Bern, Aeugstertal, Schaffhausen und Olten Ende März und Anfang April 2023

Jahresversammlung von NeSTU in Luzern am 25. März 2023

Ort:
Paulusheim in Luzern, Moosmattstrasse 4

Zeit:
13.30 Kuchen und Kaffee
14.30 Mitgliederversammlung
16.00 Apéro offeriert von NeSTU
17.00 Podiumsgespräch und Kurzfilme
19.00 fakultativ gemeinsames Abendessen (Anmeldung bis zum 16.3.)
 
Das Programm der Jahresversammlung ist hier im Detail zu finden.
Anmeldungen bei unserer Geschäftsstelle
 
Bei der Gelegenheit dürfen wir darauf hinweisen, dass unsere Website ein kleines Facelifting erhalten hat, wir arbeiten weiter daran. Neu ist ein Archiv unserer Rundbriefe ab 2021.
 

Ukraine-Anlässe mit der Hudaki Village Band
Die Dorfmusikant.innen kommen für vier Konzerte in die Schweiz:
Di 28.3. Mahogany Hall Bern, 20.00 Tickets und Flyer
Do 30.3. Pöschtli Aeugstertal ZH, 20.30 Reservation 044 761 61 38
So 2.4. Haberhaus Schaffhausen, 17.00 Familienkonzert, Eintritt frei, Kollekte. Flyer. Link Haberhaus
Mo 3.4. Kulturzentrum Schützi, Olten, 19.30 Flyer und Information
organisiert von der Freiwilligengruppe für Geflüchtete aus der Ukraine in der Region Olten. Kontakt: ri@hasspacher-iseli.ch

Wir bitten Euch sehr, uns mit Mundpropaganda zu unterstützen und Eure Freunde und Bekannten auf diese Anlässe aufmerksam zu machen. Natürlich freuen wir uns auch auf geflüchtete Personen aus der Ukraine.

Unsere Freunde von Base_UA haben mit der finanziellen Unterstützung von NeSTU zwei grossen Familien aus Siversk (Gebiet Donetsk nahe Bachmut) zu einer neuen Heimat südlich von Uman verholfen. Wir hatten davon berichtet. Diese kurze Video zeigt nun eindrücklich, worum es geht.
Wir freuen uns, dass wir mit Eurer Hilfe so gute Arbeit unterstützen können. In der vergangenen Woche konnten wir auch den Angels of Salvation in Dnipro wieder 10'000 CHF überweisen.
Damit verbunden, wie immer - der Krieg geht weiter und die Bedürfnisse werden nicht geringer - unser Spendenkonto:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
BIC: RAIFCH22XXX

NeSTU Netzwerk Schweiz-Transkarpatien/ Ukraine
Mürgstrasse 6
6370 Stans
HERZLICHEN DANK!

Maksym  Butkevych soll für 13 Jahre ins Straflager
In unseren vergangenen Rundbriefen haben wir mehrmals über unseren langjährigen Freund berichtet. Maksym hat vor einigen Jahren auch in der Schweiz an von NeSTU organisierten Anlässen teilgenommen und ist einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten der Ukraine. Seit dem 24. Juni 2022 befindet er sich in russischer Kriegsgefangenschaft. Am 10. März wurde in russischen Medien berichtet, dass er vom Obersten Gericht der sogenannten Luhansker Volksrepublik zu 13 Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt wurde, für einen aus freien Stücken erfundenen Tatbestand. Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass er während der ihm angelasteten Straftaten in der Umgebung von Kyiv und nicht im Gebiet Luhansk war, wie die Anklage es behauptet. In den russischen Medien ist Maksym vor dem Untersuchungsrichter zu sehen, auch eine Video wurde veröffentlicht. Er ist stark abgemagert und sieht müde aus, wir müssen davon ausgehen, dass er gefoltert wurde, um ihn zu dem absurden Geständnis zu zwingen. Trotzdem freuen sich die Angehörigen und der grosse Freundeskreis darüber, dass er überhaupt am Leben ist und verlieren nicht die Hoffnung auf eine baldige Freilassung.

Hier ist eine Petition Ukrainischer Menschenrechtsaktivisten. Sie wird in den kommenden Tagen zum Unterzeichnen freigegeben.
 

Menschenrechtsorganisationen und -aktivisten fordern die Freilassung des ukrainischen Kriegsgefangenen Maksym Butkevych, der von den russischen Besatzern unrechtmäßig verurteilt wurde

Am 10. März 2023 gab der Ermittlungskomitee der Russischen Föderation bekannt, dass der ukrainische Menschenrechtsverteidiger und Armeeangehörige Maksym Butkevych, der im vergangenen Sommer bei Kämpfen in der Region Luhansk von den Russen gefangen genommen worden war, aufgrund völlig erfundener Tatsachen zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde. Mit ihm wurden zwei weitere ukrainische Gefangene - Viktor Pokhozey und Vladyslav Shel - zu 8,5 bzw. 18,5 Jahren verurteilt.
Maksym Butkevych ist ein ukrainischer Menschenrechtsaktivist und Journalist. Er ist Mitbegründer des Projekts "Bez Kordoniv" (Ohne Grenzen), das Asylsuchenden und Migranten in der Ukraine hilft und Hassrede bekämpft. Außerdem ist er Mitbegründer des Menschenrechtszentrums ZMINA, des Hromadske Radio und hat als Journalist für eine Reihe von ukrainischen und internationalen Medien gearbeitet. Im März 2022 trat er den ukrainischen Streitkräften bei. Im Juni wurde er in der Nähe der derzeit besetzten Orte Solote und Hirske (Region Luhansk) gefangengenommen.

Gemäß der Veröffentlichung des Untersuchungsausschusses der Russischen Föderation befand das sogenannte "Oberste Gericht der Volksrepublik Luhansk“ Maksym Butkevych der Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung, der Anwendung von in einem bewaffneten Konflikt verbotenen Methoden, des versuchten Mordes sowie der vorsätzlichen Beschädigung fremden Eigentums für schuldig: Er soll am 4. Juni 2022 den Eingang eines Wohngebäudes in Sjewjerodonezk in der Region Luhansk mit einem Granatwerfer beschossen haben. In diesem eindeutig konstruierten Fall gibt es derzeit keine Beweise, abgesehen von einem inszenierten und gefilmten "Geständnis" des Gefangenen. Darüber hinaus wurde die Einheit Berlingo, der Maksym Butkevych angehört, unseren Informationen zufolge zu keinem Zeitpunkt im Gebiet von Sjewjerodonezk eingesetzt und war an den dortigen Kampfhandlungen nicht beteiligt.
Es ist anzumerken, dass vor diesem Urteilsspruch keinerlei Informationen über die Vorwürfe gegen den Kriegsgefangenen Maksym Butkevych veröffentlicht wurden, wodurch weder ein Anwalt beauftragt werden konnte noch ein faires Verfahren möglich war.
Da die Russische Föderation unabhängigen Beobachtern den Zugang zu den von ihr geschaffenen Haftorten in den besetzten Gebieten verwehrt, war eine Kontrolle seiner Haftbedingungen oder nähere Angaben zu seiner Behandlung durch internationale Organisationen nicht möglich.
Zugleich veröffentlichten einige russische Propagandamedien offensichtlich falsche Informationen über Maksym Butkevych und unterstellten dem Menschenrechtsverteidiger Aussagen, die er nie gemacht hatte, und Behauptungen, die seiner Meinung widersprechen.
All dies zeugt von der bewussten Konstruktion des Falles durch die Russen, wahrscheinlich um den Streitkräften der ukrainischen Armee den Ruf von Kriegsverbrechern zu verleihen.
Wir verurteilen Russlands Einsatz von Kriegsgefangenen zu Propagandazwecken und fordern, dass die rechtswidrige Strafverfolgung von Maksym Butkevych eingestellt wird und er sowie andere ukrainische Kriegsgefangene ausgetauscht werden.
Wir fordern, dass die Russische Föderation es internationalen Beobachtern ermöglicht, Kriegsgefangene und zivile Geiseln zu besuchen, um ihre Haftbedingungen zu überwachen und Misshandlungen und andere Verletzungen ihrer Rechte zu verhindern.
Wir fordern den Präsidenten der Ukraine, das Außenministerium der Ukraine und den Menschenrechtskommissar der Werchowna Rada der Ukraine auf, weiterhin Druck auf die Russische Föderation auszuüben, um die sofortige Freilassung aller Bürger zu erwirken, die vom Besatzungsregime unrechtmäßig in Haft gehalten werden.
Wir rufen die internationale Gemeinschaft auf, den Sanktionsdruck auf Russland wegen seiner Missachtung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechtsgesetze zu erhöhen.

Als versöhnlicher Abschluss, hier unten ein Foto von der Solidaritätsdemo für die Ukraine am 24. Februar in Zürich, von Diana Hrytsyshyna, NeSTU.

Redaktor dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU Ukraine

Kontakt zu NeSTU:
Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans
E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2

Möchten Sie keine Mails von NeSTU mehr empfangen? Sie können sich hier abmelden:
unsubscribe from this list

NeSTU
5. Februar 2023

Link zum Rundbrief vom 5.2.2023

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Dies ist unser erster Rundbrief in diesem Jahr und es gibt schon viel zu berichten.

Aktuelles von Projekten und Initiativen, die NeSTU massgeblich unterstützt:

  • Base_UA konnte zwei Wohnhäuser in Man'kivka im Gebiet Vinnytsia kaufen und hat dort Flüchtlingsfamilien von der Front im Donbas angesiedelt.

  • Das Comité d'Aide Médicale Zakarpattya CAMZ hat in Tyachiv (Transkarpatien) eine  Flüchtlingsunterkunft für 80 Personen eingerichtet.

  • Die jungen Künstler Nastya Malkyna und Genia Koroletov (aus Luhansk, sie leben seit Kriegsbeginn in Nyzhne Selyshche) waren wieder in Kramatorsk, Donezk und haben dort ein längerfristiges Projekt "Postkarten aus Kramatorsk" zur künstlerischen Betreuung von Jugendlichen begonnen.

  • Der Verein Molotok in Nyzhne Selyshche unterstützt einen Biathlonclub in Chust, und bittet um gebrauchte Ausrüstung für Kinder und Jugendliche aus der Schweiz.


Aktuell in der Schweiz:
Unsere Jahresversammlung findet am Samstag, 25. März im Paulusheim, Moosmattstrasse 4, Luzern statt:
13.30 Eintreffen zu Café und Kuchen
14.30 Statutarische Generalversammlung
16.00 Apéro, offeriert von NeSTU
17.00 Podiumsgespräch mit Lesja Levko, Diana Hrytsyshenko und Jürgen Kräftner über die Arbeit unseres Netzwerks während des Krieges. Ausserdem werden wir zwei kurze Dokumentarfilme mit deutschen Untertiteln zeigen.
19.00 gemeinsames Abendessen auf Wunsch und mit Reservation bei der Geschäftsstelle

Wichtig: Es ist durchaus nicht nötig, Vereinsmitglied zu sein, um an diesem Treffen dabei zu sein. Anmeldung und Information bei unserer Geschäftsstelle

Am 3. März lädt NeSTU gemeinsam mit dem Literaturhaus Zentralschweiz in Stans zu einer zweisprachige Lesung mit Eugenia Senik hier ist der Flyer. Ласкаво просимо! Herzlich Willkommen!

Die Hudaki Village Band kommt in die Schweiz bzw. ins Dreiecksland:
Fr 24.2. Altes Rathaus Weil am Rhein D, 19.00 Tickets
Sa 25.2. Kulturausschuss Gerlafingen, 20.15 Tickets (beinahe ausverkauft)
So 26.2. Atelier Hinterrüti, Horgen, 18.45 Tickets (mit Abendessen ab 17 Uhr)
Weitere Auftritte unter www.hudakivillageband.com

Zu Beginn ein Stimmungsbericht aus der Ukraine mit einer Einschätzung zu den Korruptionsfällen, die neulich an die internationale Öffentlichkeit gelangten und dem langen und steinigen Weg der Ukraine zu einem Rechtsstaat.
Redaktion dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner

Weiter geht’s hier >>>

NeSTU
Rundbriefe von NeSTU in chronologischer Reihenfolge
NeSTU